Nach Herzenslust durch den Dreck

Rico Birchler (29) brauste mit seinem selbst gebauten Einachser über Wiesen und Äcker. Bild: PD

«Was ist das genau?», fragten seine Kollegen aus der Schreinerei, als Rico Birchler ihnen von seiner Begeisterung für Einachser erzählte. Das kuriose Gefährt ist eine vielseitig einsetzbare landwirtschaftliche Maschine – eben auch für Rennen durch Äcker und Wiesen. Gestartet wird in Kategorien wie Standard, Sport oder Eigenbau. In den ersten beiden Kategorien fahren bis zu drei Einachser miteinander los. In der letztgenannten startet jedes Gefährt alleine. Gemessen wird die Zeit. Der Fahrer sitzt während des Rennens in einer Sitzschale, trägt einen Helm und ist mit einem Sicherheitsgurt angeschnallt. Gelenkt wird nicht mit einem Steuerrad, sondern über seitwärts bewegliche Lenk-holme. Birchler kaufte vor 15 Jahren einen Einachser aus dem Gaden eines Bauern. Er vergrösserte den Kolben, baute einen anderen Vergaser ein, montierte grössere Räder und deaktivierte die Drehzahlbegrenzung. «Die anderen Tricks verrate ich nicht», sagt er lachend. Mit dem frisierten Gefährt startete er in der Kategorie Sport an Rennen im ganzen Land. In hohem Tempo durch den Dreck zu fahren, begeisterte ihn. «Wenn ich im Einachser sass und mit einer Geschwindigkeit von bis zu 80 Kilometern pro Stunde über die Rennbahn im Acker brauste, vergass ich alles um mich herum», beschreibt der 29-Jährige seine Eindrücke. «Das wurde mir manchmal zum Verhängnis. Denn ich wollte zu viel, sodass sich mein Einachser hin und wieder überschlug.» Auch wenn sich das gefährlich anhört: Umkippende Einachser gehören zu den Rennen wie der Dreck, knatternde Motoren und Ländlermusik.

Bald reizte es Birchler, zusammen mit einem Kollegen selber ein Gefährt zu bauen – aus dem Antrieb eines Autos und mit einem Töffmotor. «Wie beim Schreinerberuf arbeite ich auch in der Freizeit gerne mit den Händen.» Mit dem Gefährt fuhr er jedes Jahr bis zu zehn Rennen in der Kategorie Eigenbau und gewann etliche davon. «Ich war schon sehr ehrgeizig», gibt er zu, auch wenn er im gleichen Atemzug feststellt: «Den Einachser-Fahrern geht es in erster Linie um den Plausch. Sie sind nicht so vergiftet wie die Motocross-Rennfahrer. Das gefällt mir.» Als Birchler vor vier Jahren den Bauernbetrieb seiner Eltern übernahm, änderte sich vieles in seinem Leben. Er baute ein Eigenheim, in dem er den Innenausbau selber ausführte. Daneben arbeitete er Teilzeit in einer Schreinerei und auf dem Hof. «Für das Schrauben am Einachser blieb keine Zeit mehr.» Es fiel Birchler alles andere als leicht, seinen selber gebauten Einachser zu verkaufen.

Von den Einachsern hat er sich aber nicht ganz abgewendet. Als Mitglied des Dirty8Clubs organisiert er zusammen mit Kollegen einmal im Jahr das Einachsertreffen in Schönenberg ZH. Eine Woche lang dauert der Aufbau. «Die Sicherheit spielt eine grosse Rolle.» Die Strecke wird mit Metallgestängen vom Publikumsteil abgetrennt und an den Kurven werden Strohballen platziert. Beim letzten Treffen kamen zirka 4000 Besucher und es starteten rund 100 Fahrer. «Es ist immer eine gesellige Sache», schwärmt Birchler.

Wenn er in seinem neuen Haus auf der Terrasse sitzt, auf den Zürichsee blickt und über Einachser spricht, schwankt er zwischen Begeisterung und Wehmut: «Es reizt mich schon zu fahren. Vielleicht fange ich wieder damit an, wenn ich mal mehr Zeit habe.»

«Den Einachser-Fahrern geht es um den Plausch. Sie sind nicht so vergiftet wie die Motocross-Rennfahrer. Das gefällt mir.»

fh

Veröffentlichung: 17. Oktober 2019 / Ausgabe 42/2019

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