Mit dem Fixie gegen die Sinnkrise

Michael Alborn (31) fuhr mit seinem «Fixie» quer durch Australien und legte dabei 5000 Kilometer in 40 Tagen zurück. Bilder: PD

«Ich steckte fest. Es war mir alles zu viel geworden», erzählt Michael Alborn. Die Motivation im Job hatte der Aussendienstmitarbeiter verloren, die Lust am Spitzensport war ihm abhanden gekommen, und auch privat waren raue Zeiten an der Tagesordnung.

«Wenn alle drei Pfeiler im Leben wanken, muss man die Handbremse ziehen», so das Fazit des Schreiners. Und wie so oft im Leben: Wenn alles aussichtslos erscheint, erwachen auf einmal ungeahnte Kräfte, aus der Tiefe des Morastes dringt etwas an die Oberfläche und setzt neue Energien frei. Bei Alborn in Form einer ausgefallenen Idee. Er hatte sich in den Kopf gesetzt, mit einem «Fixie», also einem Fahrrad mit nur einem Gang, quer durch Australien zu radeln. Seine Route: von Perth nach Melbourne. 5000 Kilometer in 40 Tagen. Die Nachricht über sein ungewöhnliches Vorhaben verbreitete sich wie ein Buschfeuer. Die Aussies nannten ihn «the crazy swiss guy», den «verrückten Schweizer». Wohin er auch kam, war er das Gesprächsthema, und man erwartete ihn mit Neugier und Vorfreude. Alborns Trip war strapaziös. «Das Mühsamste war nebst den Steigungen der Gegenwind. Als Bahnrennfahrer bist du es gewohnt, immer Höchstgeschwindigkeiten zu fahren. Auf einmal bremst dich der Gegenwind auf lächerliche zehn Stundenkilometer ab.»

Die endlos langen Geraden bei Temperaturen bis zu 49 Grad setzten ihm ebenfalls zu. «Unzählige Male habe ich mein Projekt verflucht. Hinzu kamen die lästigen Fliegen, die sich am liebsten auf die Schweissperlen mitten in mein Gesicht setzten.»

Aber als passionierter Sportler weiss der 31-Jährige, wie man sich mental gegen solche Hindernisse wehrt. Er überlistete sich mit Selbstgesprächen, setzte sich kleine Zwischenziele oder sog einfach die phänomenale Landschaft ein. Pro Tag flossen sechs Liter Wasser und bis zu drei Liter Coca-Cola. Zudem ein grosses Glas Nutella pro Woche. «Ich lernte auf dieser Reise, die Dinge so zu akzeptieren, wie sie sind. Die grösste Energiespritze war, wenn Leute am Strassenrand anhielten, mit mir plaudern wollten und mir etwas zu essen schenkten.» Diese Begegnungen mit wildfremden Menschen bereicherten seine Reise. Mehrere Male haben ihm die Australier eine Dusche und ein warmes Bett angeboten. «Diese Offenheit und dieses Vertrauen waren zutiefst berührend.»

Seit Anfang Februar ist Alborn wieder zurück. Und mit dem Ende seines Projekts hat sich auch seine Sinnkrise in Luft aufgelöst. Dass er dieses Projekt geschafft hat, verdankt der Schreiner seinem grossen Hobby. Er gehört zu den Steher-Elite-Fahrern. Steher sind Radrennfahrer, die in einem dauerhaft hochgehaltenen Tempo über längere Distanzen auf einer Radrennbahn fahren. Dabei fährt der Steher hinter einem Motorrad im Windschatten. Die Verständigung zwischen dem Motorradfahrer und dem Steher ist einfach. Es gibt lediglich zwei Befehle: «Allez, allez» für schneller und «Ooooo» für langsamer. Bei Spitzengeschwindigkeiten zwischen 80 und 100 Stundenkilometern riskiere man schon viel, gibt Alborn zu. Er sei mit zunehmendem Alter etwas vorsichtiger geworden.

Seine Resultate lassen sich sehen: Bei der Schweizermeisterschaft wurde er vier Mal Vierter. An der Europameisterschaft zwei Mal Zehnter. Ihm gibt der Sport vor allem eines: Lebensfreude. «Beim Sport spüre ich mich. Beim Sport fühle ich mich lebendig.»

«Wenn alle drei Pfeiler im Leben wanken, muss man die Handbremse ziehen.»

cs

Veröffentlichung: 15. März 2018 / Ausgabe 11/2018

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