«Mehr reden ist besser»

Hat in den letzten 30 Jahren viel «Guerilla-Marketing» mit wenig Budget für kleine Unternehmen gemacht: Jürg Scheidegger. Bild: Blugo

Interview.  Nur wenige kennen die Schweizer Möbelbranche so gut wie Jürg Scheidegger, der diese seit Jahrzehnten an verschiedenen Stellen unterstützt. Im Gespräch gibt er Auskunft über Ein- und Aussichten, Chancen und Versäumnisse der Branche, gerade in der Corona-Zeit.

Was bedeutet die anhaltende Corona-Krise für die Schweizer Möbelbranche?
Ich habe im Laufe meines Berufslebens schon die eine oder andere Krise mit den Möbelbauern durchlebt. In einer solchen Lage geht der Möbelkauf deutlich zurück, weil die Kunden vorsichtiger werden, eher sparen an Dingen, die nicht unbedingt sein müssen. Also keine guten Aussichten für die Anbieter, egal ob es sich um Kollektionsschreiner oder Handelsgeschäfte dreht.
Und wie sind die Startchancen für die Branche, wenn die Wirtschaft insgesamt wieder anspringt?
Dann dauert es erfahrungsgemäss in der Möbelbranche etwas länger als in anderen Bereichen. Denn auch dann gilt für viele Konsumenten, dass andere Dinge als wichtiger empfunden werden. Dazu gehören auch die aufgeschobenen Ferien. Und das ist diesmal natürlich anders, weil die ersehnten Ferien genauso in weiter Ferne liegen durch die Corona-Pandemie. Deshalb schlagen zwei Herzen in meiner Brust. Die Erfahrung lehrt, dass es für die Möbelbranche in solchen Situationen immer schwierig ist, und der Optimist in mir hofft auf eine gewisse Rückbesinnung zum häuslichen Privatleben in der aktuellen Lage. Im Marketing nennen wir einen solchen Trend «Cocooning». Voraussagen kann man das nicht, weil Art und Umstände der Situation für alle völlig neu sind.
Kennt man in der Möbelbranche die sogenannten Nachholeffekte?
Viel weniger als in anderen Branchen. Wenn es sich nicht gerade um den Fall des Eisernen Vorhangs oder ähnliche historische Ereignisse handelt, dann eigentlich nicht. Trends hin zu einem Lebensgefühl sind diesbezüglich entscheidender. Man sollte aber in dieser Lage der Rezession nicht unbeachtet lassen, dass auch jedes Unternehmen seinem ganz eigenen Zyklus folgt und seine eigene Rezessionsgeschichte schreibt. Wenn in einer solchen Phase eine tolle Idee entsteht, kann eine Firma auch gegen jeden Trend durchstarten. Die Grundlage war, ist und bleibt das gute Produkt, für das es immer eine Zeit gibt. Der Unterschied von früher zu heute ist einfach, dass man mit einem klugen Marketing mehr erreichen kann und so auch ein mittelmässiges Produkt zu pushen ist. Aber dazu braucht es Kapital und ein Konzept.
Viele versuchen jetzt, mittels Online-Aktivitäten durchzustarten. Wirkt Corona so auch als Verstärker?
Man muss dazu wissen, dass der Direktvertrieb über das Internet auch mit einem enormen Aufwand verbunden ist. Eine gute Präsenz ist ein zeit- und kostenintensives Unterfangen. Der klassische Möbelhandel ist und bleibt ein bedeutender Multiplikator, gerade auch in der Online-Welt. Und unter dem Strich bin ich nach wie vor der Meinung, dass über den Handel auch mit entsprechender Handelsmarge gut verkauft werden kann und am Ende mehr für den Produzenten herauskommt, als wenn er nur über den eigenen Online-Shop agiert.
Sind nicht schon längst Google, Architonic und Co. die entscheidenden Multiplikatoren für die Branche?
Die Internet-Akteure und Platzhirsche bieten Möglichkeiten. Wenn man sich aber in die Abhängigkeit einer Online-Maschinerie begibt, fallen schliesslich auch die Margen. Für jemanden, der bereits einen Fachhandelsvertrieb hat, ist die Sowohl-als-auch-Strategie sicher kein schlecher Rat. Wer nur auf das Online-Geschäft setzt, kommt in der Regel nur mühsam auf die nötigen Stückzahlen im Verkauf.
Wie kann man eine Online-Plattform wie Designobjekt.ch unter den beschriebenen Rahmenbedinungen einsortieren?
Sie gründet auf dem Sowohl-als-auch-Gedanken. Der Online-Möbel-Shop wird von den Herstellern betrieben, das Konzept ist absolut transparent, was bedeutet, dass es keinen Direktverkauf ohne eine Beteiligung des Fachhandels gibt. Der Verkauf erfolgt dabei immer direkt über das Portal. Bei einer Bestellung wickelt aber der ausgewählte Möbelhändler das Geschäft ab. Jeder bekommt dabei seinen Teil. Das ist wichtig, denn bei einem relativ teuren Online-Kauf weiss man ja nie, wo die Kaufentscheidung einst ihren Ursprung hatte. Meine Erfahrung sagt mir, dass man in unserem Segment online kauft, wenn man das Produkt bereits kennt. Der Online-Shop allein reicht deshalb nicht. Man sieht die Stücke bei Freunden, im Ladengeschäft oder an einer Messe. Dadurch entwickelt sich für eine Marke oder ein Produkt das, was man «Standing» nennt.
Viele Designer und Manufakturen klagen aber über zu hohe Margen und vor allem schlechte Zugänge in den Handel.
Ein überzeugendes, tolles Produkt nimmt jeder Händler gerne. Es ist natürlich heute nicht mehr so einfach, weil das Angebot viel grösser ist. Ein nicht ganz so gutes Produkt hat aber heute keine Chance mehr. Auch machen junge Unternehmen oft den Kalkulationsfehler bei ihren Produkten. Sie lassen Kosten für Messeauftritte, Online-Marketing und so weiter einfach bei der Preiskalkulation für das Möbelstück aussen vor. Stattdessen sollte man den Preis fair und transparent kalkulieren, samt der Marge für den Handel. Davor sollte man keine Angst haben. Wenn der Preis das wichtigste Argument wäre, gäbe es etwa kein I-Phone. Der Handel hilft, das Produkt zu verbreiten, und hat die Marge deshalb auch verdient. Kleinen Herstellern fehlen oft die Ressourcen, um einen Kanal zu pushen. Es gibt die mündigen Kunden, die bewusst einen etwas höheren Preis in Kauf nehmen, weil sie den Service und die Leistung des Handels sehen. Das gilt natürlich längst nicht für jeden Kunden.
Ist der mündige Kunde nicht eine Utopie?
Der Möbelmarkt in der Schweiz teilt sich ja klar auf. Die Masse kauft günstige, um nicht zu sagen billige Möbel bei den grossen Akteuren. Beim Designmöbelbereich reden wir über die letzten fünf bis zehn Prozent der Konsumenten, die das haben möchten. Darunter finden sich dann die Marktanteile der grossen Marken aus Italien oder Skandinavien. Da ist nicht mehr allzu viel Platz und Volumen für Manufakturen und Kollektionsschreiner. Ich sehe auch in meinem unmittelbaren Umfeld, dass Freunde die Wertschöpfungskette nicht sehen und nicht verstehen, sondern so einkaufen, wie es gerade passt für sie. Viele haben sich noch nie überlegt, wo die Möbel eigentlich herkommen. Da müssen wir alle noch viel kommunizieren, damit das mehr Konsumenten begreifen.
Oft und gerne wird auf das Prädikat «Swiss-Quality» hingewiesen. Aber reicht das, wenn andere auch hohe Qualität liefern?
Wir glauben immer noch an die Zukunft der Produktion in der Schweiz. Dazu braucht es auch weiterhin Produktivitätssteigerungen. Das ist die wichtigste Voraussetzung. Dazu muss dann der Unterschied im Design, in der Idee sichtbar sein. Ein Massivholztisch mit vier Beinen an den Ecken ist natürlich schwierig. Dann geht es nur über die emotionale Schiene, dass genau dieser Tisch in der Schweiz gefertigt wurde. Für manche Konsumenten ist das ein Thema, aber in der Masse reicht das Prädikat «Schweiz» nicht aus, zumal die anderen aus Bosnien-Herzegowina bis zu den baltischen Republiken gute Qualität bieten.
Können Sie einem Schreiner, Stand heute, noch guten Gewissens raten, eine eigene Kollektion aufzubauen?
Ich könnte das heute keinem Schreiner mit gutem Gewissen empfehlen. Es sei denn, er kann über mindestens fünf bis zehn Jahre die Produktentwicklung, die dazu passende Kommunikation und die nötige Finanzierung stemmen. Dann kann ich dazu raten. Aber das ist eher selten. Ein Schreinermeister kann dies allein meist nicht leisten. Stattdessen würde ich deshalb einem Schreiner mit guten Ideen anraten, sich Mitstreiter zu suchen, um das umzusetzen.
Lässt sich das denn überhaupt fünf bis zehn Jahre vorausplanen?
Ich denke schon, die Strategie muss sein samt einer Vision für die Zukunft. Wenn man sich die erfolgreichen Labels anschaut, von denen sich viele in den letzten zehn Jahren etabliert haben, kann man sehen, dass sie es eigentlich alle gleich gemacht haben. Gute Entwürfe, cleveres Marketing, Kompetenz im Social-Media-Bereich, produktive Fertigung und Finanzpartner, die daran glauben und bereit sind, über diese Zeit den Weg planvoll zu gehen. Wer das nicht hat, für den macht es keinen Sinn. Denn welcher Schreiner kann schon eine wachsende Kollektion über fünf bis zehn Jahre gedanklich vorfinanzieren?
Was fehlt darüber hinaus?
Die Kommunikation auf der Höhe der Zeit wird nicht geleistet, aus welchen Gründen auch immer. Auch die Beteiligten bei der Plattform Designobjekt.ch hatten eigentlich kein Budget für das Projekt. Jedoch hat man die Notwendigkeit erkannt und deshalb alles reingeworfen, was man hatte, und dabei versucht, das Ganze schlank zu lassen. Den beteiligten Unternehmen war klar, dass sie lernen müssen, bevor sie auch verkaufen können. Das ist ein guter Weg, denn die meisten Akteure müssen erstmal viel lernen, wie Kanäle zu bespielen sind und wie diese wirken. Und jetzt durch Corona wachsen solche Aktivitäten, weil alle spüren, dass sie etwas machen müssen. Unternehmen, die auch vor dem digitalen Zeitalter schon gut kommuniziert haben, sind auch besser in die neuen Formen der Kommunikation gestartet.
Und Ihre ganz persönliche Einschätzung zu den Überlebenschancen bis zum Ende von Corona?
Die meisten Möbelunternehmen in der Schweiz werden diese Krisenzeit überleben, weil sie die Produkte und die Produktivität hochhalten. Die grundsätzlichen, genannten Defizite bleiben aber. Deshalb wird die unmittelbare Zeit danach vielleicht entscheidend sein. Wer hat sich aufgestellt und neue Wege gesucht, und wer hofft einfach auf eine Rückkehr zum Zustand vor Corona? Wer seine Strategie jetzt kritisch reflektiert, macht den ersten Schritt.

Zur Person

Erfahrener Kenner der Branche

Die beruflichen Stationen von Jürg Scheidegger, von Haus aus Betriebsökonom und eidgenössisch diplomierter Marketingleiter, reichen von der Mitarbeit beim Systemmöbelhersteller USM bis zur Teilhaberschaft von Röthlisberger und zur Betreuung der Kollektion. Seit langer Zeit arbei- tet Scheidegger auch für Thut, Tossa und andere Unternehmen der Branche im Marketing und in der Unternehmenskommunikation.

Bei der Gründung der Fabrik 1 AG im zürcherischen Buchs war er genauso mit von der Partie wie beim Start des gemeinsamen Online-Shops Designobjekt.ch, das von mehreren Produzenten und Händlern gemeinsam betrieben wird. Neben Blugo, seiner Agentur für Design, Marketing und Vertrieb, ist Scheidegger auch bei Nordic & Friends GmbH aktiv, dem Möbelgeschäft seiner Frau in Bern.

www.blugo.ch

ch

Veröffentlichung: 14. Mai 2020 / Ausgabe 20/2020

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