Leben in der Balance


Alexander Curtius (59) liebt die Arbeit mit Holz und Menschen. Seine Workshops sind gut gebucht. Bild: Beatrix Bächtold
Alexander Curtius (59) liebt die Arbeit mit Holz und Menschen. Seine Workshops sind gut gebucht. Bild: Beatrix Bächtold
An jenem Sommertag werkeln vier Männer vor dem Atelier am Ortsrand von Scuol GR. Von hier aus strömt die hölzerne Kunst in alle Welt. Vor allem aber erfüllt sie die Herzen der vier «Schüler», die hier gerade an einem Kurs des Künstlers Alexander Curtius teilnehmen. Im richtigen Leben haben sie nichts mit Holz am Hut. Doch jetzt klingt das schabende Geräusch ihrer Werkzeuge im Gleichtakt mit dem Blöken der Engadiner Bergschafe. Curtius erzählt, dass er sich die Kunst der Bildhauerei selbst vor 20 Jahren angeeignet hat. «Die Schreinerlehre hängte ich ans Abitur an. Ich wollte ein Handwerk beherrschen, bevor ich an die Kunstschule ging», sagt er. Für seine Arbeit als Künstler sei dies enorm wichtig, betont er, während seine Schüler weiter «chrampfen». Mit ihrem ganzen Körpergewicht werfen sie sich jetzt ins Zeug, um das leicht konvexe Messer des Handhobels über den Rohling aus dem Holz der Pappel zu bewegen. Fliessend sind ihre Bewegungen. Nur ab und zu halten sie inne, um Späne wegzupusten. Jetzt, am fünften Tag des neuntägigen Kurses, sieht man den Werkstücken bereits an, dass sie einmal als ergonomische Liegestühle durchs Leben wippen werden. Das Bewegliche, die lebendige Formenwelt der Natur, das Thema «Lebenskraft» faszinierten Curtius schon immer. Bereits vor Jahrzehnten dokumentierte er ein Jahr lang das Leben einer Pflanze, als Sinnbild des Kreislaufs alles Lebendigen.
Heute wendet er als Künstler dieses Prinzip des Wachsen, Blühens, Vergehens und Wiederkehrens aufs Möbeldesign an. Rund muss es sein, von fliessender Formgebung. Sich abwenden, in sich drehen, zurückkehren und schliesslich vollkommen in der Funktion aufgehen. Mittlerweile trifft man diese unverkennbaren Wohnskulpturen, als Gegenpol oder Ergänzung zum geometrischen Bauhaus-Stil, auch an internationalen Design-Messen. Das Interesse ist gross. Die Menschen spüren die wohltuende Art der Objekte. Allerdings muss man schon ein ansehnliches Sümmchen hin- blättern, wenn man im Verkaufsgeschäft des Alexander Curtius, an bester Lage in Scuol, so eine Wohnskulptur adoptieren möchte. Er sage dann jeweils: «In meinen Kursen können Sie so ein Möbel unter Anleitung für die Hälfte des Preises selber herstellen.» Die Schweiz sei das beste Land für solche Kurse, sagt er und fügt hinzu, dass man hierzulande ein Faible für Natur und für schöne Formen habe. Ausserdem sei es den Schweizern etwas wert, nicht nur Schönes zu besitzen, sondern es auch selber herzustellen, keiner Formel folgend, lediglich ihrem Augenmass und der Erfahrung ihres Lehrers. Curtius kommt ursprünglich aus Hamburg. Den Umstand, der ihn einst von der Nordsee ins Bündner Hochtal führte, bezeichnet er den «Quantensprung meines Lebens».
«Als ich während meines Kunststudiums in Wien die Bernerin Judith kennenlernte, wusste ich nicht einmal, wo genau das Engadin liegt», sagt er und erzählt dann, dass sie gemeinsam einem Stellenangebot der Bergschule Avrona in Tarasp gefolgt seien.
Die Faszination seiner Kurse beschreibt Curtius mit folgenden Worten: «In unserer arbeitsbetonten Welt haben die Menschen die Verbindung zur Entstehung von Gegenständen verloren. Ich bin der Überzeugung, dass das Handwerk in der digitalisierten Welt eher an Bedeutung gewinnt. Nicht als Erwerbstätigkeit, sondern als Leidenschaft freier Menschen.»
«Ich bin der Überzeugung, dass das Handwerk in dieser digitalisierten Welt eher noch an Bedeutung gewinnt.»
Veröffentlichung: 30. Juli 2020 / Ausgabe 31-32/2020
Leute. In den Bildern von Stephan Rüeger scheint alles in Bewegung zu sein. Organische Formen winden sich von unten nach oben, erzeugen Wirbel, treiben aufeinander zu oder weisen sich gegenseitig ab.
mehrPaidPost. Anlässlich des 150-jährigen Firmenjubiläums bietet die Rudolf Geiser AG Einblick hinter die Kulissen und stellt ein paar der 120 Mitarbeitenden vor. Diese Woche ist dies Thomas Dellenbach, Chauffeur der Geiser Camion-Flotte.
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