Ist dünneres Glas auch besser?

Ob der Einsatz von speziell gehärteten Dünngläsern Schule machen wird? Die Glasmonteure würden sich jedenfalls freuen. Noch gibt es aber einige Knacknüsse zu lösen. Bild: Raico

Glasgewicht.  Weil Isoliergläser mit zunehmendem Format auch dicker und schwerer werden, suchen Forscher nach Alternativen. Eine gangbare Lösung ist der Einsatz von Dünngläsern. Noch gibt es aber einige Probleme zu lösen. Übermässige Vorfreude ist noch nicht angebracht.

Glas ist heute noch genauso schwer wie vor 1000 Jahren – und dies wird sich auch nicht ändern. Das spezifische Gewicht liegt bei 2,5 kg/dm3, was einem Scheibengewicht von 2,5 kg pro Quadratmeter Fläche und Millimeter Dicke entspricht.

Bis ins Jahr 1980 verwendete man vorwiegend 3 mm dickes Glas für Einfach- wie auch für Isolierglasscheiben. «Das Handling dieser Scheiben war in jeder Hinsicht schwierig», sagt Ueli Moor, Leiter Beratung bei Glas Trösch. Schon im Glaswerk hätte es viel Bruchglas gegeben.

Vereinfachte Dimensionierung

Seit sich aber der allgemeine Standard bei allen Anbietern von 4 mm Dicke auch für ganz kleine Scheiben eingebürgert hat, ge-be es deutlich weniger Bruchgläser, und zwar in der Produktion wie auch später auf den Baustellen. «Die Umstellung hat sich für alle bewährt», sagt Moor. Je nach Grösse der Glasfläche, klimatischer Belastung und Windlast braucht es aber dickere Scheiben. Wie die Bemessung von Isolierglas erfolgen soll, zeigt die neue Richtlinie 003 des Schwei-zerischen Institutes für Glas am Bau (siehe Box rechts) . Unter Einbezug von Windlast und der Berücksichtigung der Einbausituation kann man aus einfachen Diagrammen die statisch richtige Glasbemessung ablesen. Zur Anwendung kommt dabei ein vereinfachtes Verfahren zur Bestimmung der Windlasten.

Nicht unnötig dick werden

Angesichts der stetig grösser und damit schwerer werdenden Scheiben sollten Besteller nun immer die Windlast angeben, oder zumindest Standort, Ausrichtung und Höhenlage der Scheiben. Nur so kann eine Überdimensionierung ausgeschlossen werden. Das Bestimmen der Dicken von Floatglas ist also durch die neue Richtlinie relativ einfach geworden. Von der neuen Richtlinie nicht berücksichtigt werden Aufbauten in VSG und ESG. Zunehmend stossen Verarbeiter von Isolierglas an ihre Grenzen. Einerseits werden die Glasformate immer grösser, andererseits ist Zweifachisolierglas kaum noch gefragt. Während in Deutschland momentan rund 40% der eingesetz- ten Gläser einen Dreifachaufbau aufweisen, dürften es in der Schweiz rund 80% sein. So fliesst mittlerweile ein Grossteil der jährlich in Europa produzierten 30 Millionen Quadratmeter Bauglas in Dreifachaufbauten. Gegenüber Zweifachaufbauten weisen diese Elemente ein zusätzliches Flächengewicht von plus 30% auf.

Liegt der Schlüssel in der Dicke?

Nun sucht man in der Forschung Mittel und Wege, diese Gewichte zu reduzieren und hat mit der Dünnglastechnologie einen möglichen Schlüssel gefunden. Thermisch gehärtete Scheiben weisen eine deutlich höhere Flächenbelastbarkeit auf als Floatglas. So erreicht ein 4 mm dickes Floatglas auf dem Biegeprüfstand eine Festigkeit von rund 900 N (Newton). Ein gehärtetes 2 mm-Glas erreicht auf dem gleichen Prüfstand eine Bruchkraft von 1900 N. Diesen Umstand macht man sich zu Nutzen und reduziert die Glasstärken entsprechend. Das Härten solch dünner Gläser ist aber sehr schwierig und die Prozesse dazu in den Griff zu bekommen, ist eine Herausforderung.

Halbe Dicke dank Härtung?

Die Firma Lisec aus Österreich hat nun aber Anlagen im Angebot, die den Spannungsaufbau auch bei Bauglas zuverlässig gewähr-leisten können. Das Härten von solch dünnen Gläsern ist aber eigentlich nichts Neues. Bei Fahrzeuggläsern, in der Elektronik oder im optischen Bereich kennt man diese Technik schon länger. Schwierigkeiten gab es bisher, weil die Formate im Bauglas ungleich grösser sind und ebenso die Belastungen. Lisec hat aber eine Anlage konstruiert, die das zuverlässige Härten auch von sehr grossen Formaten zulässt. Das Unternehmen schlägt nun für kleinformatige Dreifachaufbauten Einzelglasdicken von nur 2 mm vor, für grössere Flächen 3 mm-Glas und für Aufbauten, bei denen bisher Sechser- und Achterscheiben verwendet wurden, schlägt Lisec 3 und 4 mm-Gläser vor. Diese müssen aber jeweils mit der neuen Methode gehärtet sein. Dies bedeutet faktisch eine Halbierung des Flächengewichts, was sich durchaus positiv auf den Montageaufwand auswirken würde.

Wenn Gläser flattern

Soweit die Theorie – in der Praxis ist die Technik bisher nicht oder noch nicht angekommen. Denn auch wenn die Gewichtsersparnis verlockend scheinen mag, es gibt grössere und kleinere Probleme. So weist die gehärtete Scheibe eine deutlich höhere Bruchsicherheit auf, ist aber deutlich weniger flächenstabil. Man kann sie schon mit geringem Kraftaufwand verformen. Das passiert natürlich auch, wenn Wind auf die Scheibe einwirkt. Dieser Effekt ist zwar für Nutzer gefahrlos, doch sicherlich ungewohnt. Zuweilen gibt es schon bei konventionellen Gläsern Reklamationen, wenn starker Wind aufkommt. Die Durchbiegung solcher Gläser ist noch deutlich geringer als bei Dünngläsern, aber trotzdem eindrücklich genug. Da fragt man sich, was bei den dünnen Gläsern passieren wird. In diesem Zusammenhang sind auch Fragen bezüglich Belastung am Randverbund offen. Die Gläser bewegen sich zwar jeweils parallel, schon bei geringen Verformungen ändert sich das Aussenformat, die Kantenlängen werden kürzer. Das hat eine grosse Belastung auf die Verbindung vom Glas auf die Konstruktion zur Folge.

Kann man noch Ansaugen?

«Wir sehen auch Probleme beim Handling der Scheiben auf der Baustelle», berichtet André Regli, Geschäftsführer der Flachglas Schweiz AG in Wikon. Mit normalen Vakuumsauganlagen seien solch dünne Dreifachaufbauten wohl kaum mehr zu bewegen, denn wenn die ganze Last auf nur eine Scheibe abgetragen werde, verforme sie sich zu stark. Ausserdem bedeute der Einsatz solcher Dünngläser einen bedeutenden Rückschritt bei der Qualität der Logistik. «Wenn jede Scheibe nach dem Zuschnitt noch in den Härteofen muss, steigt die Abwicklungszeit, und die Kapazität der Konfektionierung sinkt», sagt André Regli. Dadurch steige auch der Preis.

Der Preis würde wohl steigen

Dass gehärtete Gläser deutlich teurer sind als Floatgläser, versteht sich durch den zusätzlichen Arbeitsgang von selbst. Und der geringere Materialeinsatz wegen den dünnen Scheiben wird durch das Härten kompensiert. Unter dem Strich verteuert dieser Mehraufwand die Gläser, und die daraus resultierenden Mehrkosten werden wohl auch durch den geringeren Montageaufwand nicht ganz kompensiert. «Erfahrungsgemäss nimmt der Markt nur Produkte an, die einerseits besser als ihre Vorgänger sind und andererseits nicht mehr kosten als das Original», ist sich Moor sicher. Alle grossen Schweizer Isolierglasanbieter reagieren ähnlich skeptisch, wenn man sie auf das Potenzial der Dünnglastechnik anspricht. Zum Teil sind zwar die nötigen Anlagen innerhalb der Firmengruppen beschafft, aber schon für Spezialanwendungen ausgelastet, oder eben gar nicht vorhanden.

Potenzial sehen die Anbieter allenfalls noch in Spezialanwendungen, etwa in beweglichen Flügeln von Hebeschiebetüren. Doch in diesem Segment haben die Beschlägeanbieter ihre Hausaufgaben gemacht und bieten längst höher belastbare Beschläge an. Übrig bleiben kaum noch Argumente, die für eine Verwendung der dünnen Gläser sprechen.

Alternativen in den Startlöchern?

Dabei gäbe es schon lange Alternativen zu Dreifachaufbauten, etwa Gläser mit gespannten Folien im Scheibenzwischenraum. Ein amerikanisches Produkt mit ähnlichen Werten wie Dreifachisolierglas, aber deutlich weniger Gewicht, ist unter dem Namen «Heat Mirror» schon seit 1980 auf dem Markt und wird in der Schweiz von der Firma Sofravere im freiburgischen Avry-sur-Matran vertrieben. Eine Alternative könnte auch der Einsatz von Vakuumgläsern sein. Doch auch dieser Technik scheinen Grenzen gesetzt zu sein. So glauben nach vielen Jahren Forschungstätigkeit und etlichen Fehlversuchen nur noch wenige an eine wirtschaftliche Nutzungsfähigkeit – und wenn überhaupt – dann nur für Formate, die sich angenehm handeln lassen. Für grossformatige Gläser wird die Technik wohl nie zur Verfügung stehen, zu schwierig scheint es, den Randverbund für die enorme atmosphärische Belastung zu dimensionieren und nachher über Jahrzehnte Dichtheit zu gewährleisten.

Die neue Richtlinie

Seit es Isolierglas gibt, ergeben sich Fragen zu Glasdicken, Gewicht und Sicherheit. Die neue Richtlinie des Schweizerischen Instituts für Glas am Bau (Sigab) beantwortet die meisten Fragen. Aus zwölf Diagrammen für verschiedene Klima- und Windlasten lassen sich aus dem Schnittpunkt kurze Kante – lange Kante die passenden Dicken herauslesen. Berücksichtigt wurden die gebräuchlichsten Ab- standhalter. Als Produktionshöhe hat das Sigab die Kote +/– 500 m angenommen. Damit lassen sich die meisten Landesgegenden ohne spezielle Einschränkung bestimmen.

Bereits eingeflossen sind die Klimalasten durch Druck- und Temperaturunterschiede, nicht eingeflossen sind die Windlasten. Weil diese relativ grosse Auswirkungen auf die Glasdicken haben, sollten sie baustellenbezogen ermittelt werden. Das Einsetzen eines schweizerischen Mittelwertes würde in vielen Fällen eine Überdimensionierung der Gläser zur Folge haben. Besteller sollten daher immer die Windlasten ermitteln und bereits bei der Offertanfrage mitteilen. Um Falschbestellungen vorzubeugen, werden die Glashersteller diese Werte in Zukunft wohl öfters nachfragen. Das Sigab hat aber ein vereinfachtes Verfahren zum Berechnen der Windlasten entwickelt, welches auch Nichtingenieuren ein zuverlässiges Bestimmen der Werte ermöglicht. Die auftretenden Klimalasten sind in den Diagrammen bereits berücksichtigt. Die statische Berechnung der Gläser für die Schweiz basiert aus Mangel an einer eigenen Glasnorm in Anlehnung an die DIN 18008 und wurde mit der Berechnungssoftware «GlasGlobal» erstellt. Die Spannungsnachweise sind anhand des Teilsicherungskonzepts erarbeitet worden. Dieses Konzept hat sich bei der Berechnung von Stahl, Beton und Holz bereits bewährt.

Von der Richtlinie nicht berücksichtigt werden Glasaufbauten in VSG, ESG oder Kombinationen davon.

www.sigab.ch

wi

Veröffentlichung: 11. Oktober 2012 / Ausgabe 41/2012

Artikel zum Thema

24. April 2025

Jörg Teunissen wird neuer Geschäftsführer

mehr
24. April 2025

Most Trusted Brand

mehr

weitere Artikel zum Thema:

News