Hochsaison für das Schlittenfieber

Neben seiner Arbeit als Schreiner investiert Paul Burri (56) auch viele Stunden in den Schlittenbau. Bild: Franziska Gertsch

Man würde in der Werkstatt einen verschrobenen Kauz erwarten. Es ist alles etwas unordentlich, Hobelbänke sind übersät von uralten Werkzeugen und hundertjährige Maschinen mit Riemenantrieb ziehen den Blick auf sich. Der alte Dampfkessel verströmt einen heimeligen Duft im dunklen Raum. «So schlimm sieht es hier normalerweise nicht aus», begrüsst Paul Burri mit festem Händedruck. Der Schreiner zügelt gerade seine Werkstatt von Rümligen nach Lohnstorf. Ein denkbar schlechter Zeitpunkt, denn zum Winteranfang rennen ihm die Kunden das Geschäft ein. Der 56-Jährige ist Schlittenbauer und hat um die Weihnachtszeit besonders viel zu tun. Jährlich fertigt er an die 500 verschiedene Schlitten. Zwar produziert er die Gefährte aus Eschenholz das ganze Jahr hindurch neben dem normalen Schreinerbetrieb. Doch: «Wenn im Spätherbst das Schlittenfieber ausbricht, arbeite ich zeitweise nächtelang, um alle Aufträge durchzubringen. Im Frühling kann ich keine Schlitten mehr sehen», sagt er. An- gestellte hat der Unternehmer aus dem Gürbetal nicht. Nur in den Spitzenzeiten stellt er sich einen Handlanger an. Er mache seine Arbeit gerne selbst. Einen Schlitten von A bis Z selbst zu bauen, sei ja auch eine schöne «Büez», meint er. Der Schreiner hat 27 verschiedene Modelle im Angebot, doch am liebsten sind ihm der filigrane Grindelwalder oder sein selbst entwickelter Gantrisch. Wenn er arbeitet, geht es zuweilen chaotisch zu und her. Bestellungen notiert er auf Bierdeckel, Termine an Wände oder auf Holzscheite – die er manchmal auch wieder verfeuert, wie er lachend sagt. Seine Schlitten bearbeitet er auf sehr alten Maschinen. Wenn er sie von Hand einstellt, braucht es Fingerspitzengefühl. «Ich bin ein Nostalgiker und mag das echte, alte Handwerk mit Massivholz», erklärt er.

Computer sind ihm ein Gräuel, Offerten und Rechnungen schreibt er von Hand und ein Natel hat er nur fürs Geschäft. Als er vor 19 Jahren die Schreinerei übernahm, erlernte er von seinen Vorgängern nicht nur den Schlittenbau, sondern auch die Bestatterei. Diese Arbeit störe ihn nicht, im Gegenteil: Dass er die meisten Leute, die er bestattet, persönlich kannte, sei schön. Er ermögliche ihnen und den Hinterbliebenen so einen Abschied in Würde, meint er. Seit Burri Schlittenbauer ist, hat er auch das Schlitteln neu entdeckt. Mit seinen kleinen Kindern fuhr er jedes Wochenende in den Schnee. Noch heute verbringt er seine freien Tage gerne beim Schlitteln – am liebsten im Berner Oberländer Dorf Isenfluh. «Schlitteln ist so schön wie Skifahren, dabei aber günstiger, gemütlicher und geselliger», meint er. Vollgas gibt er, wenn der Schlittelclub Isenfluh, bei dem er Mitglied ist, Rennen veranstaltet. Seine Schlitten mit Rennskibelägen erreichen regelmäs-sig Podestplätze bei Rennen. Die Kufen aus Kunststoff hat er über die Jahre entwickelt. Immer häufiger montiert er sie auch für Kunden.

In Paul Burris Werkstatt laufen die Maschinen jeweils erst am späteren Morgen an. Aus gutem Grund: Davor kümmert sich der Schreiner um seinen kleinen Landwirtschaftsbetrieb. Sechs Kühe stehen im Stall, ausserdem hat er eine Menge Hühner und Kaninchen.

Als Mitglied des ornithologischen Vereins Thurnen und Umgebung ist er auch bei Kaninchenausstellungen aktiv. «Die Arbeit mit den Tieren ist für mich ein schöner Ausgleich», sagt er zufrieden und macht sich wieder an die Arbeit – denn schliesslich ist die Schlittensaison in vollem Gange.

«Wenn im Spätherbst das Schlittenfieber ausbricht, arbeite ich zeitweise nächtelang, um alle Aufträge durchzubringen. Im Frühling kann ich keine Schlitten mehr sehen.»

FG

Veröffentlichung: 26. Dezember 2013 / Ausgabe 52/2013

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