Eine alte Kunst, die Wellen schlägt


Mit der rechten Hand dreht Thomas Koch die Antriebskurbel, mit der linken Hand reguliert er die Höhe des Profilmessers. Bild: Beatrix Bächtold
Mit der rechten Hand dreht Thomas Koch die Antriebskurbel, mit der linken Hand reguliert er die Höhe des Profilmessers. Bild: Beatrix Bächtold
Antikschreinerei. Thomas Koch produziert Zierleisten für Ergänzungsarbeiten im historischen Bereich. Dies mit einer mehrere hundert Jahre alten Wellenleisten-Ziehbank, die der Wagner und Antikschreiner für seinen Betrieb erstanden hat und am Leben hält.
Ein Inserat in der SchreinerZeitung weckte 2014 das Interesse des Wagners und Schreiners Thomas Koch. In der Annonce las er, dass eine Wellenleisten-Ziehbank zu verkaufen war. Diese war um 1900 in der Kunstmöbelfabrik von Gottfried Fischer in Beckenried im Einsatz. Das Unternehmen war bekannt für die Herstellung von hochstehenden Möbeln im Historismus-Stil. Für diese Art von Möbeln benötigte man reichlich Wellenleisten, und diese stellte man vor Ort mithilfe dieser Ziehbank her.
Die Kunstmöbelfabrik gibt es schon lange nicht mehr, und so verbrachte die Ziehbank ihre letzten Jahrzehnte bei Schreiner und Restaurator Marcel Renggli aus Hergiswil, der sie für Ergänzungen bei Restaurierungsarbeiten schätzte. Thomas Koch fuhr also nach Hergiswil, um sich die Wellenleisten-Ziehbank anzuschauen. Auf den ersten Blick merkte er, dass es sich um eine Rarität handelte. Bald darauf erwarb er das gute Stück und transportierte es nach Glattfelden in seine Werkstatt. Seitdem steht es hier in voller Schönheit und wird von seinem Besitzer gehegt und gepflegt.
«Diese Maschine ist in der Schweiz einmalig und in ganz Europa wohl auch. Jedenfalls darf diese antike Zeitzeugin echter Schreinerkunst nicht verloren gehen», sagt Koch. Wichtig ist ihm auch, dass die Wellenleisten-Ziehbank nicht einfach in einem Museum steht, sondern dass das Fachwissen über ihren Betrieb erhalten bleibt.
«Auch ich werde sie irgendwann einmal an einen Nachfolger weitergeben», sagt er. Seine Projektarbeit zur Berufsprüfung Handwerker in der Denkmalpflege, Fachrichtung Möbel/Innenausbau, trägt den Titel «Die Ergänzung von Wellenleisten» und ist im Prinzip auch eine Gebrauchsanweisung zum Betrieb der Wellenleisten-Ziehbank.
Die eigentliche Ziehbank ist gut zwei Meter lang, zwanzig Zentimeter hoch und ebenso breit. Ihr Boden ist aus Fichtenholz, die Führungsbretter sind aus Eiche. In diesem stabilen Kasten bewegt sich der mit Eisenschienen verstärkte Schlitten auf einer Zahnschiene. In der Mitte des Kastens befindet sich eine fest verankerte Halterung für ein keilförmiges Eisenstück – die «Nase». Mit dieser Nase werden die darüber gleitenden Wellenvorlagen, je nach Profil, automatisch angehoben.
Das Schwungrad aus Gusseisen hilft dabei, den Schlitten voranzutreiben. Es hat einen Durchmesser von knapp einem Meter und befindet sich auf der Hinterseite der Maschine. Es ist auf derselben Achse wie die Antriebskurbel montiert. Gegenüber der Antriebskurbel wurde ein zusätzliches Gewicht aus Eisen mit Draht am Schwungrad befestigt, damit möglichst wenig Muskelkraft aufgewendet werden muss. Tatsächlich ist es so, dass jedes Schulkind kraftmäs-sig in der Lage wäre, den Mechanismus in Betrieb zu setzen.
Der Flammstock-Aufsatz, vermutlich aus Birnbaumholz, ragt ungefähr in der Mitte des Kastens empor. Er besteht aus zwei Seiten und einem Deckelbrett mit einer eingeschnitzten Datierung von 1691 und den Initialen MS. Ob die Bestandteile der Ziehbank wirklich so alt sind, wurde noch nicht untersucht. Am Flammstock-Aufsatz befindet sich die Haltevorrichtung für die Profilmesser, bestehend aus einem Holzklotz, der seitlich eingenutet ist, und einer Eisenplatte. Oben an der Haltevorrichtung ist ein Beschlag mit dem Innengewinde aufgeschraubt. So kann die Haltevorrichtung mit einer Gewindestange fein reguliert auf und ab geschoben werden. Betätigt wird die Gewindestange, die unter und über dem Deckelbrett einen fixen Flansch hat, mit einer gebogenen Eisenkurbel am obersten Punkt der Ziehbank.
Mit der Wellenleisten-Ziehbank erwarb Thomas Koch auch neun historische Wellenvorlagen mit den verschiedensten Abständen. Die Vorlagen aus Gusseisen sind jeweils auf einer Holzlatte aufgeschraubt. Sie sind, je nach Muster, zwischen 1600 und 2400 mm lang. Die Holzlatte weist beidseitig eine Bohrung auf, um sie am Schlitten aufschrauben zu können.
An der Wand über der Ziehbank bewahrt Thomas Koch 77 historische Profilmesser auf. Zum Teil haben die Messer mehrere Profile, sodass total 152 verschiedene Profile zur Verfügung stehen. Einige der Profilmesser weisen versetzte Schneiden auf, mit denen man spezielle Effekte erzielen kann.
Durch Drehen an der Handkurbel wird die Wellenvorlage über die Nase geführt, welche diese auf und ab hebt. Der Mechanismus führt gleichzeitig die Profilleiste unter dem starr montierten und beidseitig angeschliffenen Profilmesser hindurch.
Zur Herstellung einer Wellenleiste wird dieser Vorgang mehrere Dutzend Mal ausgeführt, wobei das Profilmesser jedes Mal lediglich um etwa einen Zehntelmillimeter abgesenkt wird. Bei jedem Arbeitsdurchgang wird nur ein Hauch Holz abgetragen. Das Geräusch ist schleifend und leicht pochend. Ein Gehörschutz wird nicht benötigt, die Arbeit ist gefahrlos.
Um fehlende oder beschädigte Wellenleisten an historischen Möbeln oder für den Innenausbau zu ergänzen, braucht es feinjähriges Hartholz. Auch andere Materialien wie Elfenbein, Horn oder Ähnliches wurden früher verwendet. Besonders achten muss man auf einen geraden, ruhigen Faserverlauf. Um möglichst wenige Einrisse beim Schaben der Wellenleisten zu erhalten, sollen diese stehende Jahresringe aufweisen (Riftholz).
Wellenleisten sind Zierleisten (Profilleisten oder Profilstäbe) mit einer regelmässigen Auf- und Abwärtsbewegung der Profilhöhe. Wellenleisten sind verwandt mit der sogenannten Flammleiste, bei welcher sich das Profil wellenförmig auf der gleichen Höhe hin- und herbewegt. Flammleisten kommen seltener vor als die Wellenleisten, und ihre Herstellung erfordert andere Methoden. Diese beiden Zierleistenarten werden oft miteinander verwechselt. Beide Leistenarten tragen im deutschsprachigen Raum auch andere Namen, so zum Beispiel Rumpelleiste, Rokokoleiste oder Schwungleiste.
Erfunden wurde die Wellenleiste zur Zeit der Spätrenaissance um 1600 in Deutschland. Sie verbreitete sich rasch und kam im Möbel- und Innenausbau zum Einsatz, und zwar immer dann, wenn man etwas repräsentabel verzieren wollte. Ihre Hochblüte erreichte die Wellenleiste im Barock. Bald hatte man aber genug von der Üppigkeit, die Wellenleiste kam aus der Mode.
Das Werkzeug zu ihrer Herstellung und das Wissen gingen teilweise verloren. Zwar flammte die Freude an der Wellenleiste im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert kurz wieder auf, doch in der darauffolgenden Zeit der Moderne wurde sie definitiv nicht mehr als Stilelement eingesetzt.
In Kochs Glattfelder Werkstatt entstehen an der Wellenleisten-Ziehbank vor allem Ergänzungen im historischen Bereich. Zudem ist Koch Zulieferer für Betriebe, welche Wellenleisten benötigen. Auch produziert er auf Wunsch Neuanfertigungen, zum Beispiel Bilderrahmen.
Veröffentlichung: 25. Mai 2017 / Ausgabe 21/2017
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