Die Schönheit alter Möbel bewahren

Walter Schraner (73) zeigt bei einem restaurierten Buffet das Geheimfach. Bild: Cornelia Thürlemann

Leute. Die vielen Schränke, die in der Lagerhalle von Walter Schraner in Rheinsulz AG stehen, sind noch alle in dem Zustand, wie er sie von ihren früheren Besitzern kaufte.

Da ist ein Span abgesplittert, dort hängt eine Tür schief. «Das Alter lässt sich an den Scharnieren und den Kanten ablesen», erzählt Schraner. Die meisten Möbel stammen von Räumungen alter Bauernhäuser aus den 1980er-Jahren. Der gelernte Schreiner hatte sich damals, wie zuvor sein Vater, auf das Restaurieren spezialisiert. Bekannt für ihr gutes Handwerk und Hintergrundwissen wurden sie bei Räumungen oft gerufen und gefragt, ob sie Interesse an den alten Bauernmöbeln hätten. Denn damals war die Nachfrage danach sehr gross. Schraner kaufte etliche dieser Möbel und restaurierte sie. «Vielleicht haben wir damals etwas viel gekauft», meint der 73-Jährige rückblickend. Nun stehen sie da, und alle könnten wohl eine Geschichte erzählen. Die meisten der Schränke sind 150 bis 200 Jahre alt. Die ältesten stammen aus den 1820er-Jahren, viele aus den 1880ern. Aus der Zeit, als die Bauern ihre Möbel von Störschreinern bauen liessen. «Die Schränke mussten genau in eine Ecke oder an einen bestimmten Platz passen. Dort blieben sie, ein Leben lang. Das Holz dafür stammte aus dem eigenen Wald.» Ein junges Paar fällte für den eigenen Haushalt einen Baum und liess sich daraus das Stubenbuffet, einen Tisch, einen Kasten, ein Bett oder eine Kommode schreinern. «War es ein reicher Bauer, wurde ein Kirsch- oder Nussbaum gefällt, bei einem ärmeren war es eine Tanne.» Nebst dem handwerklichen Können kam es darauf an, ob der Schreiner gutes Werkzeug besass.

«War es ein reicher Bauer, wurde ein Kirsch- oder Nussbaum gefällt, bei einem ärmeren war es eine Tanne.»

Schraner kann bei einem Möbel schnell beurteilen, ob ein Schreiner ein Meister seines Fachs war und gutes Werkzeug verwendete. Die meisten Fricktaler Bauernfamilien wünschten sich Möbel aus Hartholz, auch wenn sie sich keine solchen leisten konnten. Und so griffen sie zu einem Trick: Sie liessen die Maserierung eines Kirsch- oder Nussbaums auf das helle Tannenholz malen. Das machte nicht der Schreiner, sondern der Maler. Doch heute sind die aufgemalten Maserierungen nicht mehr gefragt. «Die meisten Leute wollen Möbel aus hellem Tannenholz.» Und so laugt Schraner beim Restaurieren eines Möbels als Erstes die aufgemalte Maserierung ab, bis das helle Holz zum Vorschein kommt. Danach ersetzt und restauriert er fachkundig die abgenutzten und beschädigten Teile, bis das Möbel wieder wie neu vor ihm steht. Gefragt sind heute vor allem Tische, Stühle und kleinere Möbel. «In den modernen Wohnungen hat es grosse Fenster und kaum Platz für grosse Möbelstücke», sagt Schraner. Dabei seien die alten Schränke sehr praktisch, denn sie können leicht auseinander- und wieder zusammengebaut werden. Die Teile werden im Baukastensystem zusammengefügt und können mit wenig Aufwand transportiert und am neuen Ort wieder aufgestellt werden. Schraner steht jeden Morgen in der Werkstatt. Die Liebe zu seinem Beruf begleitet ihn auch nach seiner Pensionierung. Er restauriert Möbelstücke als Auftragsarbeiten, oder auch aus Freude, weil es ihm einfach gefällt. Wie ein Schrank aus dem Jahr 1860, der aus verschiedenen Harthölzern bearbeitet ist. Der erfahrene Berufsmann zeigt mit Bewunderung Details, an denen die handwerkliche Meisterleistung erkennbar ist, und weist auch auf die Schönheit des Holzes hin, mit der Maserung des Kirschbaums, die sich von der rechten zur linken Schranktür spiegelt. Ein Meisterwerk, nicht nur des Erbauers, sondern auch des Restaurators.

Cornelia Thürlemann

Veröffentlichung: 03. Juni 2024 / Ausgabe 22/2024

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