Die Luft ist raus

Mit Stickstoff lässt sich die gesamte Bandbreite an Lacken applizieren. Bild: Teknos Feyco AG

Stickstoff-Lackieren.  Die Lack-Applikation mittels Stickstoff breitet sich langsam in der Holzbranche aus. Kein Wunder, bietet das Verfahren doch eine ganze Reihe handfester Vorteile. Als Pionier in der Schweiz hat man bei der Häubi AG die längste Erfahrung damit.

Die Geschichte beginnt auf einem Campingplatz. Patrick Kocher, Oberflächenspezialist bei der Schreinerei Häubi AG im bernischen Lyss, trifft einen Aussendienstmitarbeiter der Blutech AG aus Wünnewil im Kanton Freiburg. Das Unternehmen ist die Schweizer Vertretung der Stickstoff-Lackieranlagen des italienischen Erfinders und Herstellers Eurosider. «Bis dahin hatte ich vom Lackieren mit Stickstoff noch nie etwas gehört», sagt Kocher. Und so dürfte es den meisten Schreinern gehen. Es hat dann nicht lange gedauert, bis ein solches Gerät versuchsweise bei Kocher in der Lackieranlage stand. Freilich nachdem auch der Häubi-Geschäftsführer Marcel Baechler hellhörig geworden war, aufgrund der Verheissung, künftig alles besser und schneller lackieren zu können. Aber Referenzen aus der Holzbranche gab es bis dato in der Schweiz keine, während in anderen Branchen, wie im Automobilsektor, in der Kunststoffindustrie und andere, das Verfahren schon weit verbreitet war und ist. «Nach vier Wochen Test war klar, dass wir das Gerät behalten möchten, weil wir so begeistert waren von der Qualität der damit erzielten Oberflächen», sagt Baechler.

Lackieren mit weniger Druck

Wer lackiert, braucht ein Trägermedium, das den verflüssigten Oberflächenfilm auf das Werkstück transportiert. Üblicherweise geschieht dies mittels Druckluft. Diese setzt sich aus verschiedenen Gasen zusammen. Zu rund 78% besteht Luft aus Stickstoff, zu knapp 21% aus Sauerstoff und das restliche Prozent besteht aus einer Reihe von weiteren Komponenten wie Kohlendioxid, Argon und weiteren Spurengasen. Feste und flüssige Teilchen, sogenannte Aerosole sind ebenfalls mit dabei. Und je nachdem finden sich Staub, Pollen und natürlich Wasser in der Luft.

Wird anstelle von Luft reiner Stickstoff zum Lackieren verwendet, hat man als Transportmedium ein homogenes und zudem recht reaktionsträges Gas. Solche Gase werden als «inert» bezeichnet. Stickstoff ist das wichtigste davon und zeichnet sich dadurch aus, dass es ungiftig ist und kein Wasser aufnimmt.

Wird Stickstoff unter Druck durch einen Schlauch geleitet, entstehen – verglichen mit einem Luftstrom – deutlich weniger Verwirbelungen. Die Fliessgeschwindigkeit der gleich grossen Moleküle ist höher, weshalb sich der Druck an der Düse reduzieren lässt. Und wenn weniger Druck herrscht, reduziert sich der Sprühnebel, weil der Strahl mit den getragenen Lackpartikeln sanfter austritt und ebenso sanft auf das Werkstück trifft. Eine weitere technische Eigenschaft von Stickstoff ist seine leicht zu bewerkstelligende Ionisierung. Stickstoff kann positiv und negativ geladen werden, je nach statischer Ladung des Lackierobjektes.

Die italienischen Tüftler von Eurosider haben das Potenzial erkannt und ein Gerät konstruiert, dass einfach zwischen die Druckluftanlage und die Lackiereinheit geschaltet wird.

Eine Membran filtert die Luft

Darin vollzieht sich dann die Wandlung vom Luftstrom zur Stickstoffzufuhr. Dazu wird die Luft zunächst mittels dreier Filter gereinigt. Öl, Staub und flüssige Bestandteile werden abgeschieden. Dann folgt das Kernstück: Die gereinigte Luft strömt durch den Membranfilter. Dabei wird die Luft durch eine Kunststoffmembran gepresst. Da die Diffusionsgeschwindigkeit von Stickstoff deutlich langsamer ist als die von Sauerstoff, Wasser und Kohlendioxid, reichert sich der Stickstoff durch die Membran an und kann so getrennt werden. Der Stickstoff wird in einen Speicher geführt und dann im Heizschlauch, der zur Lackierpistole führt, erwärmt. «Stickstoff kann man nur mit einem Temperaturschlauch verwenden. Die Lackhersteller sind davon begeistert, dass wir den Lack in der von ihnen empfohlenen, korrekten Temperatur aufbringen, was sonst mit Druckluft eigentlich nie der Fall ist», erklärt Baechler.

Verbesserungen durch den Stickstoff

Durch das ruhigere Fliessverhalten des mit Stickstoff transportierten Lackes wird der Druck reduziert, wodurch sich auch der Anteil des Oversprays verringert. «Die Lackersparnis ist zwar nicht ganz so hoch bei uns, wie wir das anfänglich erhofft hatten, doch um etwa 15% ist der Verbrauch an Lack durch den Einsatz der Technik auch bei uns gesunken», erklärt Baechler. Teilweise wird auch von deutlich höheren Einsparungen beim Beschichtungsmaterial berichtet. «Je nach Unternehmen geht die Materialeinsparung bis 30% hoch», sagt Roger Blum, Geschäftsführer der Blutech AG.

Beim Lackieren von liegenden Flächen muss bei Häubi die Unterseite nicht mehr abgedeckt werden. Das geht, weil weniger Nebel entsteht. Für Baechler ist das eine enorme Zeit- und Kostenersparnis. Und Zeit ist in der Branche ein wichtiger Faktor. Die Häubi AG ist Spezialistin für Innenausstattungen von Arzt- und Zahnarztpraxen.

«Der Lack trocknet schneller und härtet auch deutlich rascher aus. Wenn wir früher Kratzer hatten, kamen die stets auf der Baustelle zustande, weil manche Lacke erst nach vier Wochen ausgehärtet waren. Mit dem Stickstofflackieren haben wir die Zeit auf zehn Tage verkürzen können, was uns eine Menge Zeit und auch Ärger erspart», sagt Baechler.

Auch die Wartungs- und Serviceintervalle haben sich verschoben. Mussten früher fast jeden Monat die Filter an der Wand im Spritzraum gewechselt werden, reicht heute eine Reinigung zweimal jährlich. Ein deutliches Indiz für weniger Overspray. Gleiches gilt auch für die Reinigung des Gitterrostes, die stets arbeitsintensiv ist.

Insgesamt gebe es auch viel weniger Läufe als bei herkömmlichen Verfahren, weil die Haftung und Anziehung auf der Oberfläche grösser sei. Für Blum ist das Verfahren im Holzbereich auch noch aus einem anderen Grund interessant. Bei Lacken mit hoher Schichtdicke besteht das Risiko eines sogenannten Kochers. Diese Bläschen, welche durch im Lackfilm eingeschlossene Lösemittel entstehen, lassen sich durch den Stickstoff weitgehend verhindern.

Was sich nicht verändert

Für den Anwender im Spritzraum ändert sich indes wenig. «Es ist sehr schnell eingespielt, eine Umgewöhnung kann man vernachlässigen. Die Unterschiede von Lack zu Lack sind deutlich grösser als beim Wechsel von Druckluft auf Stickstoff», weiss Kocher aus eigener Erfahrung. Die Anlage funktioniert indes selbstständig. «Sie holt die Luft, filtert den Stickstoff raus und gut», sagt Baechler. Auch die Energiekosten sollen in etwa gleich bleiben. «Zwar verliert man durch die Membran ein Bar Druck, doch braucht es danach weniger Druck wegen der höheren Fliessgeschwindigkeit des Stickstoffes, und auch aufwendiges Aufheizen der Kabine kann gespart werden, da der Schlauch den Lack wärmt», erklärt Blum.

Die Lackhersteller sind natürlich nicht unbedingt begeistert, wenn sie weniger Material verkaufen können. Andererseits seien manche sogar sehr interessiert an dem System. Zum einen, weil die Häubi AG mit der Spezialisierung auf das Gesundheitswesen auch immer wieder eigene Lösungen bei der Oberflächenapplikation braucht. Zum anderen aber «gibt es mittlerweile so viele Platten, die in der Oberfläche ganz nahe an der lackierten Fläche sind, sodass dies eine viel grössere Herausforderung für die Lackindustrie ist als die Einsparung durch das System», erklärt Kocher.

Es gibt auch Nachteile

Als nachteilig empfindet Kocher die jährlichen Unterhaltskosten von 800 Franken für die drei Filterpatronen und den mit 20 mm etwas dickeren Luftschlauch. Die Investition für die Anlage wiegt natürlich auch.

Mit mindestens 20 000 Franken für das kleinste Gerät geht es los mit dem Stickstoff und je nach Ausstattung kann es auch deutlich höher liegen. Aber: «Die Investition hat sich für uns gelohnt», zeigt sich Baechler überzeugt. «Wer mit einer Frischluftmaske arbeitet, der muss für die Luft einen zweiten Schlauch zuführen. Und: Die Düsennadeln der Pistolen müssen öfter gereinigt werden als beim herkömmlichen Spritzen, weil durch die Ionisierung und Erwärmung die Ablagerung etwas grösser ist», räumt Blum ein.

Das freilich ändert kaum etwas an der Begeisterung für die Vorteile des Stickstofflackierens. «Ich kann es meinen Kollegen nur empfehlen», sagt Baechler.

www.haeubi.chwww.blutech.chwww.eurosider.com

ch

Veröffentlichung: 18. Juni 2020 / Ausgabe 25/2020

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