Die Ergonomie im Griff


Liegt die Maschine gut in der Hand, so wird die Arbeitsanstrengung deutlich gemindert. Bild: Festool
Liegt die Maschine gut in der Hand, so wird die Arbeitsanstrengung deutlich gemindert. Bild: Festool
Passform. Der Schreiner nimmt sie täglich in die Hand: die Bohrmaschine, den Akkuschrauber, die Stichsäge, die Oberfräse. Und er schätzt es, wenn das Werkzeug «gut in der Hand liegt». Der perfekte Werkzeuggriff – eine Herausforderung an die Elektrowerkzeughersteller.
Die Hand ist ein anatomisches Wunderwerk und biomechanisch wohl der komplizierteste Körperteil. Rechnet man die Elle und Speiche des Unterarms mit, besteht die Hand aus 29 Knochen, die über einen komplizierten Band- und Sehnenapparat miteinander verbunden sind. Jede Bewegung kommt durch ein filigranes Wechselspiel von Steuerimpulsen der höheren Nervenzentren und sensorischen Rückmeldungen der Unterarm- und Handmuskulatur zustande. Ergonomie ist das Zauberwort für alles, was die Arbeit erleichtern soll. Wörtlich übersetzt heisst es «Lehre von der Arbeit». Die Aufgabe der Ergonomie ist es aufzu- zeigen, wie Arbeitsplätze und – Werkzeug, den Bedürfnissen des Menschen angepasst werden können. Beim Handwerkzeug spielt die Ergonomie eine besondere Rolle, weil es hier eine direkte Verbindung zwischen Bediener und Arbeitsprozess gibt. Der Griff ist die Schnittstelle zwischen Mensch und Maschine. Die Form des Griffes, seine Position, sein Querschnitt, sein Volumen, sein Umfang, das Material und die Oberflächenbeschaffenheit, die Anordnung der Bedien-elemente und deren intuitive Bedienung – all diese Faktoren werden von den Entwicklerteams der Maschinenhersteller akribisch unter die Lupe genommen und kontinuierlich verbessert. Die Wahl des Griffes hängt ab vom Werkzeug, der Tätigkeit und der Arbeitshaltung. Weiter sollen das Gewicht reduziert, der Werkzeugschwerpunkt ausbalanciert sowie die Vibrationen eliminiert werden. Auch sicherheitsrelevante Anforderungen müssen erfüllt sein: Wie etwa die Lock-Out-Funktion bei Handkreissägen, die verhindert, dass das Gerät versehentlich eingeschaltet wird. Ein ergonomisch geformtes Werkzeug sorgt dafür, dass selbst in unbequemen Arbeitssituationen wie beispielsweise bei Arbeiten über Kopf oder an schlecht zugänglichen Stellen möglichst ermüdungsfrei gearbeitet werden kann.
Bei der Arbeit mit Elektrowerkzeug wird die Muskelkraft des Menschen weitgehend durch den Elektromotor ersetzt. Für das Heben, Halten, Führen, Andrücken der Maschine ist dennoch ein gewisser Kraftaufwand nötig. Diesen zu minimieren, ist das Ziel der Maschinenhersteller. Sie haben längst erkannt, wie wichtig die Ergonomie und damit der Arbeitskomfort – neben den Faktoren Leistung, Robustheit und Lang- lebigkeit der Maschinen – für professionelle Anwender im Handwerk und in der Industrie ist. «Die Anwender arbeiten zum Teil acht Stunden täglich mit den Maschinen, da machen ein paar Gramm Gewicht oder ein ergonomischer Griff sehr viel aus», sagt Frauke Kielblock, Leiterin Innovationen und Design bei Metabo. Ergonomie sei ein wesentlicher Teil der Gebrauchstauglichkeit eines Werkzeugs. «Unsere Kunden möchten selbsterklärende Maschinen, die sie auf Anhieb bedienen können und mit denen sie sich wohl und sicher fühlen. Hierbei sind Handling und Benutzerfreundlichkeit das A und O.» Aktuell setzen die Hersteller auf die Weiterentwicklung der Akku-Technologie: Ohne Netzkabel ist das Handling wesentlich einfacher und komfortabler, zumal die Akkupacks trotz immer mehr Leistung kontinuierlich kompakter und leichter werden.
Wer schon einmal eine Schieblehre in die linke Hand genommen und versucht hat, sie «ganz normal» zu bedienen, der hat festgestellt, dass dies nicht geht. 10 bis 15% der Menschen sind Linkshänder und Tag für Tag damit konfrontiert, bestimmte Tätigkeiten mit der für sie «falschen Hand» machen zu müssen. So sind bestimmte Arbeiten für Linkshänder viel mühsamer als für Rechtshänder. Bei den meisten Elektrowerkzeugen sind die Bedienelemente heute «neutral» positioniert, so dass sie für Rechts- und Linkshänder gleich gut bedienbar sind. Ausgenommen sind da beispielsweise die Handkreissägen oder Kapp- und Gehrungssägen. «Hier wäre der Entwicklungsaufwand für gleichwertige Rechts- und Linksbedienung sehr aufwendig, was sich unweigerlich im Preis der Geräte niederschlagen würde», erklärt Christof Weitbrecht, Produktmanager für Stationärgeräte zur professionellen Holzbearbeitung bei Bosch. «Aus Gesprächen mit betroffenen Linkshändern wissen wir, dass sie eher bereit sind, sich mit vorhandenen Produkten zu arrangieren, als den Mehrpreis für neu entwickelte Geräte zu bezahlen.»
Eine Frau ist durchschnittlich 125 mm kleiner als ein Mann, eine Frauenhand durchschnittlich 17 mm schmaler und 12 mm kürzer als eine Männerhand. «Unter den vielen Faktoren, welche sich auf die durchschnittliche Muskelkraft auswirken, sorgt das Geschlecht für die grössten Unterschiede», verrät das Fachbuch «Ergonomie bei Handwerkzeugen». Die durchschnittliche Kraft einer Frau beträgt etwa zwei Drittel der eines Mannes. Müsste es da eigentlich nicht speziell auf die Bedürfnisse der Frauen zugeschnittenes Werkzeug geben? Der Anteil der Frauen beträgt bei der Ausbildung rund 10%. Wie viele der ausgebildeten Schreinerinnen auf dem erlernten Beruf arbeiten, ist nicht erfasst. Die Zielgruppe ist zu klein und deshalb gibt es kein speziell für Frauen entwickeltes Profi-Werkzeug. Anders sieht es im Do-it-yourself-Bereich aus: Hier werden beispielsweise speziell kleine Bohrmaschinen und Akkuschrauber für die weibliche Kundschaft angeboten. Doch so oder so profitieren die Frauen davon, dass das Elektrowerkzeug dank der technischen Entwicklung inzwischen insgesamt kleiner, handlicher und leichter geworden ist.
Trotz gleicher Arbeit und Arbeitsbedingungen wird die körperliche Anstrengung individuell sehr unterschiedlich wahrgenommen und bewertet. Über den Grad der Anstrengung entscheiden unter anderem Geschlecht, Körperbau, Kraft, Alter und Erfahrung. Generell ist die Kraft eines Menschen im Alter von Ende 20 bis Anfang 30 am grössten und nimmt danach ab. Körperliche Unterschiede wie Gewicht und Statur beeinflussen die Muskelkraft ebenfalls. «An diesen Voraussetzungen kann auch der Entwickler von Elektrowerkzeug nichts ändern. Aber er kann durch die Form erreichen, dass möglichst viele Menschen mit verschiedenen Voraussetzungen optimal mit dem Werkzeug arbeiten können», heisst es im Fachbuch «Ergonomie bei Handwerkzeugen». Oft würden schon kleine Veränderungen der äusseren Form eine spürbare Ar-beitserleichterung bringen. Einerseits muss Elektrowerkzeug so gestaltet sein, dass verschiedene Anwender gleich gut mit ihm umgehen können, andererseits sei es im Zeitalter der industriellen Serienproduk- tion natürlich nicht möglich, Werkzeug für eine individuelle Person anzufertigen. Dies sei die Aufgabe, vor der die Ergonomie stehe. «Es gelingt heute, Werkzeug so zu gestalten und industriell zu fertigen, dass 90% der Menschen in aller Welt gut mit ihnen umgehen kann.»
www.festool.chwww.metabo.chwww.bosch.ch
Johannes Steimel ist Berater Forschung und Entwicklung bei Festool.
Johannes Steimel: Die Design-Aufgabe ist ein vollständig integrierter Teil des Entwicklungsprozesses. Erst entsteht die Funktion, wir machen eine erste Dimensionierung der Baugruppen, etwa von Motorleistung und Baugrösse, Getriebe, Elektronik-Funktionen oder Schneidewerkzeug. Damit ist meistens auch schon die prinzipielle Anordnung der einzelnen Module vorgegeben. Dann machen wir ein intensives Briefing zur Aufgabenteilung mit dem Designer, indem wir besprechen, wie die Anwendungen aussehen und was den Handwerkern wichtig ist. Das Design entsteht in mehreren Varianten als Handskizze oder gleich – weil uns die Haptik so wichtig ist – als Styropor-Modell. Haben wir uns für eine Gestaltungsform entschieden, wird das Modell in unserem CAD-System modelliert und in einigen Runden über Handhabungsmodelle bis zum endgültigen Prototypen weiterentwickelt. Mitunter müssen die technischen Komponenten nochmal weiterentwickelt werden, um die bestmögliche Handhabung zu erreichen.
In Feinabstimmungsrunden versuchen wir, Radien und Griffmasse zwischen Design und der Hand des Anwenders zu optimieren. Entscheidend ist die richtige Gestaltung der Bedienelemente bezüglich Form, Betätigungsrichtung, Kraft, intuitiver Erkennung der Funktionen. Das probieren wir aus und untersuchen es mit den Anwendern im Detail. Die endgültige Wirkung mit den echten Oberflächen und Materialien wird am Ende des Designprozesses gemeinsam bewertet.
Veröffentlichung: 06. Februar 2014 / Ausgabe 6/2014
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