Die Blüten der Technik


Eine Variation von «Downloadable Design»: Das Blumendekor des niederländischen Labels Droog ist für einen 3-D-Drucker konzipiert. Bild: Droog, Davide Lovatti
Eine Variation von «Downloadable Design»: Das Blumendekor des niederländischen Labels Droog ist für einen 3-D-Drucker konzipiert. Bild: Droog, Davide Lovatti
Open Design. Begriffe wie «Open Design» oder «Downloadable Design» sind heute im Gespräch. Doch was bedeuten die englischen Schlagworte, für die es noch gar keine richtige deutsche Übersetzung gibt? Und inwiefern ist der Schreiner von dieser Strömung betroffen?
«Open Design», also frei verfügbare, gestaltete Objekte, riechen für produzierende Unternehmen nach paradiesischen Zuständen. Designer stellen ihre Arbeit im Internet teils gratis als Download zur Verfügung. Der Schreiner braucht eigentlich nur die Früchte zu ernten. Was sich nach einer Utopie anhört, findet bei Software in Form von «Open Source» oder bei Projekten im Sinne von «Open Innovation» bereits Anwendung.
Im Bereich von Objekten ist es jedoch fraglich, ob sich das Konzept durchsetzen wird. Nicht nur die Umsetzung, sondern auch rechtliche Aspekte verlangen nach Klärung. Die Idee hinter «Open Design» ist indessen nicht ganz neu. Bereits in den 30er-Jahren des letzten Jahrhunderts hat der niederländische Schreiner und Architekt Gerrit Rietveld diesen Gedanken vorweggenommen. Seine «Kistenmöbel» waren als Pläne mit entsprechender Anleitung zu beziehen. Materialbeschaffung und Zusammenbau geschah durch den Kunden selbst (siehe Box Seite 16). Auch Designer Enzo Mari entwarf in den 70er-Jahren für Artek eine Kollektion aus formal reduzierten Holzmöbeln.
Mit Hilfe des Internets können Produktionsdaten heute viel schneller verbreitet werden als noch vor 100 Jahren. Ebenso sind dank CAD detaillierte Objektbeschreibungen möglich und problemlos zu übermitteln. Doch der Detaillierungsgrad der im Internet erhältlichen Entwürfe ist sehr unterschiedlich. In der Regel will der Designer für seine Daten einen Gegenwert. Dieser unterscheidet sich je nach Konzept – genau wie die Ausarbeitungstiefe der angebotenen Objekte. Eine Registrierung per Internet ist eigentlich immer erforderlich, um von entsprechenden Webseiten die gewünschten Einzelheiten zu erfahren. Von da an jedoch sind die Finanzierungsmodelle so vielfältig wie die Entwürfe selbst.
Der Berner Nicola Enrico Stäubli befasst sich seit längerer Zeit mit «Open Design». Er stellt fest, dass «im Gegensatz zu den USA der Markt in der Schweiz noch nicht so weit ist, um diese Form der Möbelproduktion zuzulassen». Vor sechs Jahren hat der Architekt mit dem Projekt «Foldschool» seine ersten Produkte entwickelt, die für jedermann frei verfügbar waren. Es handelte sich um Kindermöbel aus Karton. Die Schnittmuster sind noch immer auf einer eigenen Projektwebseite zu beziehen, ausschneiden und falten muss sie der Kunde selbst. Er habe sich nicht zuletzt für ein «Open Design» entschieden, weil Gestaltung erst in den letzten Jahren hochstilisiert worden sei. «Echte Designklassiker wurden aus einer Not heraus entwickelt, sie sollten in erster Linie preiswerte Helfer sein», so die Meinung von Stäubli. Schliesslich sei «Foldschool» für ihn zu einem PR-Objekt geworden. Es sei revolutionär gewesen und habe dadurch auf ihn als Gestalter aufmerksam gemacht. Geld freilich musste Stäubli anders verdienen. Im Zentrum stand der Spass an der Sache. Der ausgebildete Architekt weiss auch: «Nur wenige Menschen, die ‹Foldschool› herunterladen, bauen es auch wirklich selbst zusammen.» Und auf die Frage, weshalb das so sei, meint er: «Selten hat jemand das handwerkliche Know-how oder die Zeit dazu. Vom Kunden wird viel verlangt, wenn er kein Handwerker ist.»
Falls sich «Open Design» längerfristig durchsetzen sollte, läge die Chance des Schreiners wohl darin, entsprechende CNC-Dienstleistungen anzubieten. Für das Londoner Diatom Studio ist dies klar der Weg, wie Schreiner und Designer in Zukunft zusammenarbeiten werden. Es testet gerade die Beta-Version der Software «Sketch Chair», mit welcher der Kunde seinen eigenen Stuhl zeichnen kann. Dafür, dass die Konstruktion auch funktioniert, sorgt das Programm. Bisher vertreibt das Diatom Studio seine Produkte erst in den USA, vor allem über den Onlineshop «ponoko.com». «Wir ermuntern aber jeden, der unsere Möbel herstellen kann und will, mit uns Kontakt aufzunehmen», drücken die beiden treibenden Köpfe Greg Saul und Tiago Rorke ihre Wünsche aus. Die lokale Produktion und entfallende Transportwege seien schliesslich ein Grundgedanke hinter «Open Design». Das Projekt «Sketch Chair» begeistert vor allem mit Entwürfen, die eine Form aufweisen, welche von bekannten Objekten für die maschinelle Fertigung abweichen. Die Einführung einer funktionierenden Programmversion ist in wenigen Wochen geplant.
Doch trotz freier Verfügbarkeit von Designdaten, möchte der Gestalter in der Regel kontrollieren können, wer seine Entwürfe produziert. Dafür ist ein Vertriebsnetz notwendig, wie das die Firma Solid aus dem luzernischen Buttisholz mittlerweile aufgebaut hat. «Inzwischen sind es etliche Firmen, die unsere Möbel herstellen», sagt der stellvertretende Geschäftsführer Urs Widmer. Die Objekte liefert er meist als Bausatz an Schreinereien, inklusive Pläne. «Jeder Schreiner bestimmt selbst, welchen Teil der Wertschöpfungskette er übernehmen will.» Ganz frei zugänglich ist das Design von Solid aber nicht. Zugang zu einzelnen Daten erhält erst, wer sich registriert, die Baupläne erst, wer Partner ist. Um diesen Status zu erlangen, muss man mit dem Unternehmen Kontakt aufnehmen. Und noch etwas unterscheidet das System der Firma Solid vom Gedanken des «Open Designs»: «Nur ungefähr 10% der Anfragen erreichen uns per Internet», erzählt Widmer. Und viele Schreiner könne das Unternehmen dank seiner fahrenden Ausstellung überzeugen.
Die Produktqualität zu kontrollieren sei aber gar nicht unbedingt immer wünschenswert, meint Nicola Stäubli zum Thema: «Für einige ist genau diese Fehlertoleranz sowie die Weiterentwicklung des Objekts das Einzigartige am «Open Design».
Und was sagt der Möbelhandel dazu, wenn der Schreiner direkt an den Kunden verkauft? «Ein solches Szenario haben wir im Verband noch nicht vertieft besprochen», verrät Michael Federer, Vorstandsmitglied des Schweizerischen Möbelfachverbandes. Doch die meisten Kunden würden beim Möbelkauf weiterhin auf eine persönliche Beratung Wert legen. Auch für Kurt Frischknecht von Möbelschweiz ist «Open Design» nur am Rande ein Thema. «Die Möbelindustrie ist auf hohe Stückzahlen angewiesen.» Er stellt aus diesem Grund auch die Bezahlbarkeit von Objekten infrage, die als Einzelstück produziert werden.
Für den Vertrieb von «Open Design» könnten Websites wie «openstructures.net» wegweisend sein, Portale also, die Design zum Kauf anbieten, das Kunden bewerten und weiterentwickeln. Geht es nach Nicola Stäubli, sind entsprechende Module bald in sozialen Netzwerken integriert.
Ob öffentlich zugängliche Daten oder doch bezahlte oder gemeinsam entwickelte Konstruktionsunterlagen – für das Geschäft zwischen Gestalter und Produzent wird von beiden Seiten auch in Zukunft Verhandlungsgeschick gefragt sein. Von einem Dialog profitieren beide Seiten: Der Designer vom Wissen und den Produktionsmöglichkeiten – der Schreiner von «ausgelagertem» Marketing und Verkauf. Mit einem Design, das keine neuen Maschinen erfordert, dürfte kaum etwas schiefgehen.
www.nicola-staubli.comwww.sketchchair.ccwww.solid-holz.chwww.openstructures.netwww.möbelschweiz.chwww.ownlineshop.comDer gelernte niederländische Schreiner Gerrit Rietveld ist als Architekt und Designer in die Geschichte eingegangen. Seine bekanntesten Möbel sind der «Rot-Blaue Stuhl» oder der «Zig-Zag Chair». Die 1934 entworfenen «Kistenmöbel» – namentlich ein Bücherregal, ein Lehnstuhl und ein niedriger Tisch – bestanden aus unbehandelten Holzfertigteilen, die einfach zusammengeschraubt wurden. Zu einem geringfügig höheren Preis waren die Möbel lackiert erhältlich, während sparsame Käufer sich für das Selbstmontage-Paket entschlossen. Noch bis am 16. September zeigt das Vitra Design Museum in Weil am Rhein «Die Revolution des Raums», eine Ausstellung über Rietveld. Das Buch dazu stellt die SchreinerZeitung in der Rubrik «Leserservice» vor.
www.vitra.com«Droog» heisst auf deutsch so viel wie «trocken» und meint die Reduktion aufs Wesentliche. Das gleichnamige niederländische Label feiert dieses Jahr sein 20-jähriges Bestehen. Die Designagentur unter der Führung von Renny Ramakers hat sich von Beginn weg im Bereich avantgardistischer Projekte etabliert. Im Jahr 2011 stellte Droog an der Möbelmesse in Mailand das Projekt «Design for Download» vor. Gezeigt wurde eine Möbelkollektion, die für den Download bestimmt war. «Downloadable Design» ist jedoch nur eines von unzähligen Projekten, an denen Droog zurzeit arbeitet. Und die Reichweite ist gross: Vom preiswerten Accessoire bis zum fast unbezahlbaren Kunstobjekt bietet Droog alles an. Der Schwerpunkt liegt stets auf dem Konzept. Aktuell sind Kooperationen mit Recycling-Unternehmen geplant.
www.droog.comVeröffentlichung: 13. September 2012 / Ausgabe 37/2012