Der Staudruck entscheidet

Grosse Fenster, schmale Friese: Mit Standarddimensionen stossen die Fensterkonstruktionen sehr schnell an die Grenzen der statischen Belastung. Bild: SchreinerZeitung

Technik.  Die statische Dimensionierung von Fenstern beruht auf einer Vielzahl verschiedener Parameter. Welche Belastung auf das Fenster wirkt, muss der Fensterbauer nicht selber ausrechnen, er sollte aber wissen, was seine Konstruktion zu leisten vermag.

Der Anruf kam mitten in einer windigen Nacht. Man hätte vorsichtshalber die Polstergruppe von der Fensterfront weggeschoben, weil man deren Standfestigkeit nicht mehr traute. Offenbar hatte sich die Holz-fensterkonstruktion im Neubau der Familie Michel in Wohlen unter der Last des Winddruckes so weit durchgebogen, dass man es mit der Angst zu tun bekam.

Wenn es um Bewegungen innerhalb der Konstruktion geht, ist die Wahrnehmung sehr subjektiv. Bereits wenige Millimeter Durchbiegung können für den Benutzer beängstigend wirken, auch wenn das zulässige Spektrum noch gar nicht überschritten wurde. Böiger Wind schaukelt zudem die Gläser und die Konstruktion auf, was zusätzlich verunsichert.

Wie viel sich eine Fensterfront verformen darf respektive wann eine Gebrauchstauglichkeit erfüllt ist, definiert die SIA 331: Paragraf 2.2.4 legt den maximalen Durchbiegewert bei Länge/ 200 fest. Zudem definiert die SIA 331 neu einen Beiwert von 0,6 zur Ermittlung des Bemessungswertes.

Verschiedene Methoden denkbar

In der statischen Bemessung muss man heute aber nicht nur die maximale Durchbiegung nachweisen, sondern auch einen Nachweis über die Tragsicherheit. Um diese Eigenschaften zu berechnen, muss man verschiedene Faktoren wie die Windbelastung kennen. Dabei gilt es, zwischen exaktem Nachweis sowie Vordimensionierung zu unterscheiden. Beim genauen rechnerischen Nachweis wird die Windbelastung als Bemessungswert aus den Daten der Windkarte und den in der SIA 331 definierten Reduktionsbeiwerten ermittelt. Für Bau-ten, welche klar definierten Geländekategorien angehören, keine komplexen Volumen beinhalten und nicht höher als 25 m sind, kann man das vereinfachte Verfahren nach SIA 331 anwenden. In den Tabellen im Anhang der Norm sind die vorgesehenen Werte festgehalten. Sind die Bedingungen für den vereinfachten Nachweis nicht gegeben, erfolgt die Bemessung nach SIA 261.

Planer muss Daten liefern

Den für das Gebäude anzuwendenden Bemessungswert muss die planende Stelle, das heisst der Architekt, Bauführer oder wenn keiner von beiden involviert ist, der Bauherr definieren. Fensterbauer können also ganz einfach – sofern die Werte nicht schon in der Ausschreibung definiert sind – den geforderten Bemessungswert bei der Planungsstelle erfragen. «Sie tun aber gut daran, die gelieferten Angaben zu hinterfragen», sagt Beat Rudin, Geschäftsführer des Fachverbandes Fenster- und Fassadenbranche (FFF). Die angegebenen Werte würden oft nicht mit der Realität übereinstimmen und viele Planer seien sich der Ausgesetztheit ihrer Bauten nicht bewusst. Auch lasse die Definition «komplexes Volumen und keine erhöhten Referenzwerte» viel Spielraum zu, was Auswirkungen auf die Dimensionierung haben kann. Spätestens beim ersten Baustellenbesuch sollte der Un- ternehmer darum die Plausibilität der Angaben des Planers zu Standort, Form und Höhe prüfen.

Leistung der Konstruktion kennen

Fensterbauer müssen sich also wenig Gedanken über den Standort und die Einbaulage der Fenster machen beziehungsweise welche Klasse gefordert ist. Der Fensterhersteller muss aber wissen, was seine Elemente zu leisten vermögen, und diese Leistungswerte muss er in Übereinstimmung mit den geforderten Bemessungswerten bringen können. Dazu drängt sich die fachgerechte Berechnung der wichtigsten, wiederkehrenden Konstruktionen auf. Um die Leistungsdaten darzustellen, eignet sich die tabellarische Darstellung oder das Erstellen von Kurvendiagrammen. Aus diesen Grafiken sollten Projektleiter ablesen können, welche Querschnitte sich für welche Belastungen eignen.

Kein Q-Signet ohne Nachweis

Wer etwa das Q-Signet des FFF anstreben will, muss diese Berechnungen vorweisen, um die statischen Eigenschaften des Fensters abbilden zu können. So lässt sich zum Beispiel für jede Mittelpartiebreite ein zulässiges Massraster erstellen, dieses dient dann in der Projektabwicklung als Kontroll- instrument. Wer diese Berechnungen nicht selber ausführen kann, wendet sich an seinen Fenster-Systemgeber, um bestehende Tabellen zu verwenden. Zudem bieten verschiedene Spezialisten wie zum Beispiel Marc Donzé von der Berner Fachhochschule die Erstellung solcher Leistungsnachweise an.

Den Spezialisten vorbehalten

Die Berechnungen sind so komplex, dass man sie kaum mehr selber erstellen kann. Zum Bemessen eines Setzholzes, einer Mittelpartie oder eines Pfostens muss man zuerst das Trägheitsmoment des Werkstückes aufgrund seines Querschnittes ermitteln. Mit modernen CAD-Systemen lässt sich dieser Wert ohne Weiteres direkt errechnen. Besteht eine Mittelpartie aus mehreren Friesen, etwa aus Stulp- und Flügelfries, kann man die ermittelten Werte zusammenzählen. Nicht dazuzählen darf man das Glas, die Glasleisten sowie die Werte von aufgesetzten Metallprofilen des Fenster-systems. Ist das Isolierglas mit dem Fensterelement verklebt, fliessen die Werte des Glases zum Teil mit ein. Fest eingeplante Verstärkungen beeinflussen das Resultat ebenfalls.

Befestigung oft ungenügend

Die statische Bemessung der Fensterpro-file ist aber nicht der einzige Knackpunkt, wenn es um die Konstruktion geht. Die Zunahme der Fensterfläche am Einzelfenster bringt auch die Befestigung der Elemente sowie die Verankerung der Gläser im Rahmen an ihre Grenzen. «Richtig grosse Fenster kann man aufgrund der fehlenden Festigkeit von Verschraubungen und Glasleisten oft nicht mehr mit bewährten Verfahren einglasen», sagt Christoph Rellstab von der Berner Fachhochschule. Für solche Scheiben müssten stabilere Befestigungsarten konstruiert werden. Solche Lösungen sollten Fensterbauer nur in Zusammenarbeit mit ausgewiesenen Experten entwickeln, weil die verschiedenen Faktoren in sehr komplexer Abhängigkeit zueinander wirken. Um eine optische Annäherung zu den Standardelementen zu erzielen, bieten sich etwa Halteprofile aus Stahl an, die darüberliegende Glasleiste dient noch als Dichtleiste für die Herstellung der inneren Dampfdichtheit und als optischer Akzent.

Kunststoffdübel zu schwach!

«Auch die Befestigung der Fensterrahmen in der Baukonstruktion muss man kritisch betrachten», meint Rellstab. Oft würden die Baumonteure einfach immer die gleichen Montagewinkel verwenden. Gerade im Bezug auf Montagewinkel sollte man sich der Konstruktion anpassen und entsprechend tragfähige respektive belastungsfähige Mon- tagemittel einsetzen. Massive Montagekonsolen und Schwerlastanker sind angesagt, sobald die Konstruktionen den gewohnten Rahmen sprengen. Ausreichend dimensionierte Holzprofile, gut verankertes Glas sowie massive Montagewinkel würden die Planer und Eigentümer von grossflächigen Verglasungen besser schlafen lassen.

www.ahb.bfh.ch

wi

Veröffentlichung: 12. September 2013 / Ausgabe 37/2013

Artikel zum Thema

29. April 2025

Jörg Teunissen wird neuer Geschäftsführer

Geschäftsleitung. Am 1. April hat Jörg Teunissen die Geschäftsleitung der Gretsch-Unitas GmbH Baubeschläge übernommen.

mehr
25. April 2025

Die Berufslehre soll attraktiv bleiben

In Deutschland und Österreich beginnen immer weniger Jugendliche eine Berufsausbildung. Deren Regierungen wollen deswegen eingreifen. In der Schweiz sieht es hingegen aktuell noch besser aus.

mehr

weitere Artikel zum Thema:

News