Das Glänzen in den Augen als Antrieb

Der langjährige Nationaltrainer Thomas Vogler (r.) pflegt zu seinen Athleten ein kameradschaftliches Verhältnis. Archivbild: VSSM

Meisterlich.  14 Medaillen haben die Schweizer Schreiner seit 2003 von internationalen Berufsmeisterschaften nach Hause gebracht. Die beeindruckende Bilanz verdankt die Branche unter anderem einem stillen Schaffer im Hintergrund: dem Appenzeller Thomas Vogler.

Seit rund 30 Jahren ist der heute 60-jährige Thomas Vogler in verschiedensten Funktionen in der Schreinerbranche tätig. Richtig kräftig schlägt sein Herz aber schon seit jeher für den Nachwuchs und die Berufswettkämpfe. Als Betreuer, Förderer und Nationaltrainer hat er unzählige Stunden investiert, um aus den jungen Rohdiamanten erfolgreiche Berufsleute zu machen.

SCHREINERZEITUNG: Was treibt Sie auch heute noch immer wieder an, mit Lernenden zu arbeiten und sie zu coachen?
THOMAS VOGLER: Ich höre ständig, die Jungen seien müde, sie prügelten sich, sie seien lustlos und hängten nur immer an der Game-Konsole. Es gibt aber auch viele andere. Diese Leute wollen sich für den Beruf einsetzen. Ich will ihnen die Möglichkeit geben, sich zu entwickeln. Das wettkampforientierte Training hilft mir dabei, den Lernenden Fertigkeiten beizubringen, die sie einerseits bei den Teilprüfungen, andrerseits aber auch bei den Meisterschaften zum Erfolg führen.
Ihre Faszination für die Förderung von jungen Berufsleuten scheint auch nach Ihrer Zeit als Nationaltrainer ungebrochen?
Ja natürlich. Ich bin noch immer begeistert von unserem tollen Beruf und den jungen Leuten. Es ist für mich eine tiefe Genugtuung, wenn ich das Glänzen in den Augen und die Begeisterung nach einem Training erkennen kann. In diesen Situationen der Freude ist es unwichtig, wer Sieger oder Zweiter geworden ist.
Wie sind Sie überhaupt zum Betreuer, Förderer und Nationaltrainer geworden?
Das hat sich nach und nach entwickelt. Ich habe im Appenzellerland 1999 mit diesen Trainings und der Weiterentwicklung der Jungen zur Teilnahme an den Berufsweltmeisterschaften begonnen. Damals gab es das Modell der Sektionsmeisterschaft und Nationalmannschaft noch nicht. 2003 gelang es uns, zwei Appenzeller an die Weltmeisterschaft zu bringen und mit Thomas Sutter gleich die Goldmedaille zu gewinnen.
Das war aber erst der Anfang auf regionaler Ebene?
Das ist korrekt. Weil die Jungschreiner in den anderen Kantonen nicht gross gefördert wurden, waren wir mit unseren wettkampforientierten Coachings äusserst erfolgreich. Wir schafften es immer wieder mit den eigenen Athleten an die WM – bis der Verband intervenierte und mich im Jahr 2012 zum ersten Nationalcoach der Schreiner ernannte. Ein Amt, das ich bis 2020 ausführen durfte.
In dieser Funktion übernimmt man neun Jugendliche aus allen Regionen der Schweiz als Nationalteam. Ist es schwierig, bei dieser Arbeit neutral zu bleiben?
Nein, absolut nicht. Ich freue mich über die Entwicklung aller Jugendlichen, über ihre wissensbegierige Art und darüber, dass ich ihnen die Freude an unserem Beruf auf eine etwas andere Art übermitteln kann. Weiter ist es – Medaillen hin oder her – interessant zu verfolgen, wie die Jungen ihren Weg machen.
Können Sie dieses Verhältnis zwischen Coach und Athletin oder Athlet beschreiben?
Schwierig, aber es gibt eine ganz spezielle Basis. Man ist nicht mehr Lehrer, Trainer, Lehrmeister und Lernender. Man ist auf der gleichen Ebene mit dem gleichen Ziel. Es erfolgt mit der Zeit eine gewisse Annäherung: Diese jungen Leute können etliche Holzverbindungen wohl besser herstellen als ich. Meine Erfahrung in Wettkämpfen und das ein wenig andere Fachwissen bringen ihnen aber das gewisse Etwas, um bestehen zu können.
Was ist Ihr Erfolgskonzept als Trainer und Coach? Was sagen Sie den Lernenden während des Trainings?
Ich spreche nicht viel, eventuell ist das sogar der Schlüssel zum Erfolg. Denn ich will den Lernenden nicht sagen, wie sie die Aufgaben lösen sollen. Die Jugendlichen müssen ihren eigenen Weg erarbeiten. Ich hinterfrage Arbeitsvorgänge und versuche mit ihnen den optimalen Einsatz von Maschinen und Werkzeugen zu erreichen. Gebe ich ihnen zu viel vor, dann kopieren sie dieses Vorgehen und können nicht ihren eigenen Stil entwickeln und danach handeln.
Wie gehen Sie vor, wenn Sie mit den jungen Lernenden das erste Mal trainieren?
Ich starte eigentlich immer gleich und ganz banal mit einem Zinkenbock mit allen Zinkenarten: offene Zinken, verdeckte Zinken, Fingerzinken, japanische Zinken usw. In dieser Phase der reinen Handarbeit erkenne ich bereits erste Mankos. Darauf passe ich dann meine Trainingsfragmente an. So kann früh auf die Defizite der Athleten eingegangen werden.
Ist in diesen ersten Trainings rasch erkennbar, wer Potenzial für eine World- Skills-Teilnahme hat und wer nicht?
Ja, nach zwei Stunden ist schon einiges klar. Nach dem Reissen und der Arbeit an den Werkstücken kann bereits eine verlässliche Prognose gewagt werden, wer vom neunköpfigen Nationalmannschaftsteam an den Schweizermeisterschaften die ersten vier Plätze belegt.
Und trotzdem: Kann mit spezifischem Training nicht noch einiges aus jungen Schreinern herausgeholt werden, die diese Fertigkeiten noch nicht beherrschen?
Doch, tatsächlich. Mit Wille und Training ist viel zu erreichen. Aber übermässiger Wille birgt auch Gefahren. Ich habe einige Personen erlebt, die sich in der entscheidenden Phase verkrampft haben. Das sind Super-Typen, geniale Handwerker, aber schlichtweg keine Wettbewerbs-Schreiner und deshalb für dieses Format weniger geeignet.
Als Nationaltrainer betreut man neun junge Schreiner aus verschiedensten Regionen und Betrieben. Wie steht es da mit der Neutralität?
Was über allem steht: Der oder die Beste soll die Schweiz an den World Skills vertreten und optimal vorbereitet zu den Wettkämpfen starten. Deshalb habe ich auch die grösste Freude, dass viele Kantone mit den Kandidatinnen und Kandidaten trainieren. Sie machen heute das, womit wir vor rund 20 Jahren im Appenzellerland angefangen haben. Was wesentlich ist: Man hat gemerkt, dass normale Schreinerarbeit in den Betrieben für den nationalen und internationalen Erfolg nicht mehr genügt. Will man heute Medaillen gewinnen, muss man die Lernenden spezifisch auf die Wettkämpfe vorbereiten und mit ihnen intensiv trainieren – sonst droht das internationale Mittelfeld.
Welchen Stellenwert haben für Sie die Sektionsmeisterschaften?
Für die Teilprüfung sind diese Wettkämpfe die ideale Vorbereitung, die auch an einem Arbeitstag absolviert werden kann. Die Sektionsmeisterschaften bilden zudem eine gute Basis für die Selektion der geeigneten Talente.
Immer mehr Frauen tauchen auf den Start- und Ranglisten der Wettkämpfe auf.
Ja, das ist sehr erfreulich. Hier könnte man aber noch viel mehr machen. Der Schlüssel dazu ist, dass sie in dieser Männerwelt noch mehr Wertschätzung erfahren und so Selbstvertrauen gewinnen können. Das sehe ich auch in der Praxis so. Mädchen und Frauen gehören zum Schreinerberuf und in die Betriebe und leisten dort beste Arbeit.
Als Betreuer, Coach und Nationaltrainer erlebt man in all den Jahren einiges. Können Sie uns ein Highlight dieser Zeit nennen?
Da gibt es eine Geschichte aus dem Jahr 2011, die mich noch heute sehr berührt. Ich kam von der Berufsschule nach Hause. Zwei ehemalige Appenzeller World-Skills-Teilnehmer warteten auf mich und überreichten mir einen in Holz gefrästen Gutschein für die Reise nach London und den Besuch der World Skills.
Das war ein ganz unerwartetes Geschenk?
Ja, total unerwartet und ganz speziell. Alle Appenzeller Lernenden, die den Sprung an die World Skills geschafft hatten, legten Geld zusammen und ermöglichten mir diese Reise. Sie brachten mich dazu, dass ich erstmals in meinem Leben ein Flugzeug bestieg. Und was mich besonders freute: Die Jungs haben mich auf meiner Reise nach London begleitet.
Wenn Sie zwei Wünsche frei hätten, was sich im Rahmen des Meisterschaftszyklus ändern sollte. Wo müsste der Hebel angesetzt werden?
Das ist schwierig zu beantworten, denn da treffen verschiedene Interessen aufeinander. Ich wünschte mir, dass die Zusammenarbeit des Nationaltrainers mit den Experten intensiver wird. Die Erfahrungen von den internationalen Wettkämpfen müssen mehr in die Arbeit auf Stufe Nationalmannschaft einfliessen. Da gibt es viele Kleinigkeiten, die für die Arbeit mit den Talenten und die Vorbereitung auf grosse Wettkämpfe wichtig sind.
Und der zweite Wunsch?
Ein heikles Thema. Meiner Meinung nach müsste eigentlich das Selektionsverfahren angepasst werden. Aktuell kommen aus den drei Regionalmeisterschaften je drei Kandidatinnen und Kandidaten in die Nationalmannschaft. Das heisst, dass so automatisch auch drei Vertreter aus der französischen Schweiz gesetzt sind. Dies entspricht zwar den geografischen Verhältnissen, aber nicht immer ganz den Stärkenverhältnissen.
Wie müssten sich denn die Schreinerbranche und der Beruf entwickeln?
Ich bin da ziemlich traditionell unterwegs. Das Schreinerhandwerk muss im Zentrum stehen und bleiben. Gleichzeitig darf man sich gegenüber den neuen Technologien nicht verschliessen. Aber der Schreiner sollte sich und seinen tollen Beruf besser verkaufen. Er muss lernen, dem Kunden plausibel zu erklären, dass jedes Schreinerwerk ein auf den Auftraggeber bezogenes Einzelstück ist. Wir haben genug Argumente, bei der Kundschaft zu punkten und so unser Handwerk für die Zukunft zu sichern.

Zur Person

Die Karriere von Thomas Vogler (60) ist geprägt von stetiger Aus- und Weiterbildung. Er absolvierte ab 1978 seine Ausbildung zum Schreiner in Jona SG. Danach durchlief er alle Stationen der Schreinerweiterbildung: vom Werkstattchef über den Werkmeister bis zum Schreinermeister.

Doch damit nicht genug. Thomas Vogler erweiterte sein Fachwissen und Können mit diversen Methodik-, Experten- und Instruktorenkursen. Letztlich schloss er auch das Studium zum Berufsschullehrer ab. Sein Talent des Vermittelns von Fachwissen blieb nicht lange unentdeckt. Seit 30 Jahren ist er in verschiedenen Positionen als Lehrkraft tätig, seit 2011 als Fachlehrer in Flawil und Buchs SG. Dazu leitete Vogler während vieler Jahre die Einführungskurse an der Appenzeller Holzfachschule und war Experte an den Lehrabschlussprüfungen. Heute ist er als Hauptlehrer für die Ausbildung der Schreinerpraktiker EBA in Flawil und Buchs zuständig. Nicht zu vergessen: Seit 1989 führt Thomas Vogler auch eine eigene kleine Schreinerei an seinem Wohnort Reute AR bei Altstätten SG.

Bald einmal entwickelte Thomas Vogler Freude, Ehrgeiz und Motivation, junge Schreiner für die Berufswettbewerbe fit zu machen. Diversen Erfolgen mit den Appenzeller und St. Galler Athleten folgte 2012 die Ernennung zum ersten Nationaltrainer der Schreiner. Thomas Vogler hat massgeblichen Anteil an den 14 Medaillen, die die Schweizer Schreiner seit 2003 an den Weltmeisterschaften errungen haben.

Seit Ende 2020 tritt Thomas Vogler etwas kürzer und verfolgt den Zyklus der Schreinermeisterschaften aus mehr Distanz. Noch immer trainiert er aber Jungschreiner aus den Kantonen St. Gallen und Zürich. Ansonsten kümmert sich Thomas Vogler um seine Frau, seine fünf Kinder und Schwiegerkinder, seine zwölf Enkelkinder und seine über 30 gefleckten Schafe.

Thomas Vogler, ein Coach auf Augenhöhe

Hunderte von Schreinerinnen und Schreinern hat Thomas Vogler als Nationaltrainer und Betreuer auf die verschiedensten Wettkämpfe vorbereitet, mit dem Thurgauer Sven Bürki (25) auch den späteren World-Skills-Gewinner 2017. Bürki mag sich noch bestens an die Vorbereitungszeit mit dem Appenzeller erinnern. «Thomas wusste genau, worauf die Experten achten. So hat er anspruchsvolle Trainings gestaltet, die uns fachlich gefordert und weitergebracht haben», erklärt Sven Bürki. «Ich schätzte dabei sehr, dass er uns immer wieder herausforderte, eigene Lösungswege zu finden.»

Ausprobieren lohnt sich

So habe Thomas Vogler ihm in erster Linie beigebracht, dass es sich lohne, möglichst viel auszuprobieren. Dementprechend habe Bürki auf seinem Weg zur WM viele Arbeitstechniken für sich entdeckt, die zu Beginn nicht sehr vielversprechend gewirkt hätten. «Die Bereitschaft von Thomas, sich immer wieder auf neue Inputs und Ideen einzulassen und auch von den Kandidaten zu lernen, damit er all dies im nächsten Zyklus den neuen Kandidaten weitergeben kann, fand ich sehr beeindruckend», blickt Sven Bürki zurück.

Spürbare Begeisterung, jederzeit

Thomas Vogler habe es ab dem ersten Trainingstag geschafft, den jungen Schreinern das Gefühl zu vermitteln, mit ihnen auf Augenhöhe zu sein. «Ungeachtet des Alters- und Erfahrungsunterschieds verstand er es, uns dort abzuholen, wo wir gerade standen», berichtet Sven Bürki. Jederzeit sei seine Begeisterung für den Beruf, das Handwerk, aber auch für die Förderung junger Berufsleute zu spüren.

Nationaltrainer und ruhender Pol

Obwohl der Trainer seinen Athleten während der Wettkämpfe fachlich nicht helfen durfte, war Vogler in den stressigen Situationen stets der ruhende Pol und für die Schreiner Ansprechperson Nummer eins. Und: «Er fand immer einen Weg, uns auch nach einem missglückten Tag wieder zu motivieren», bilanziert Bürki. Er trifft Thomas Vogler da und dort an verschiedenen Events und Wettkämpfen und geniesst es, mit seinem ehemaligen Nationalmannschaftscoach zu fachsimpeln und über Techniken und Methoden zu diskutieren.

Patrik Ettlin

Veröffentlichung: 09. Dezember 2021 / Ausgabe 50/2021

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