Damit sie auch hängen bleiben


Filigran und doch stabil: Die Oberschränke der Küche «Orea1» wurden in Biel geprüft.
Filigran und doch stabil: Die Oberschränke der Küche «Orea1» wurden in Biel geprüft.
Beschläge. Stauraum ist kostbar, deshalb sind in den meisten Küchen Oberschränke kaum wegzudenken. Obschon auf den ersten Blick simple Bauteile, muss gerade hier Wert auf eine saubere Montage gelegt werden, um Sicherheit und Schallschutz zu gewährleisten.
Der Kassensturzbeitrag im Schweizer Fernsehen klingt dramatisch: Als eine Frau die Küchenoberschränke mit Geschirr befüllt, lösen sich die Verankerungen in der Wand und die Schränke krachen herunter. Das Ergebnis ist eine gebrochene Nase, eine zerstörte Küche und zerschmettertes Geschirr.
Die Küchenmöbel stammten von der Ikea, welche die Frau durch einen Homeservice, den sie im Internet gefunden hatte, montieren liess. «Das musste ja so kommen», denkt sich wahrscheinlich jetzt der eine oder andere Handwerker angesichts der Ausgangslage. Wer sich aber in der Branche umhört, stellt fest, dass solche Vorfälle in diesem Ausmass zwar nicht an der Tagesordnung sind, die Problematik aber durchaus bekannt ist.
«In der Küche gibt es eigentlich nur wenige sicherheitsrelevante Aspekte. Dazu gehören im Wesentlichen die elektrischen Installationen und die Oberschränke», sagt Hans-Jörg Stöpel, Leiter Entwicklung bei der Bruno Piatti AG. Das Unternehmen hat sich intensiv mit der Konstruktion und Montage von Oberschränken auseinandergesetzt. «Wir haben festgestellt, dass insbesondere die Montage der grösste Unsicherheitsfaktor darstellt», erzählt Hans-Jörg Stöpel.
Zu diesem Schluss kommt auch das Gutachten im erwähnten Schadenfall: Nicht etwa die Möbel von Ikea waren mangelhaft, sondern die Montage wurde unsachgemäss ausgeführt.
Aber welche Belastungen müssen Oberschränke überhaupt aushalten? Darüber Auskunft gibt die Norm SN EN 14749. Sie beschreibt sicherheitstechnische Anforderungen und Prüfverfahren für Wohn- und Küchenmöbel, Schränke, Regale sowie Arbeitsplatten. In der Norm SN EN 14749 sind für Oberschränke folgende Prüfgewichte vorgeschrieben:
Bei einem Hängeschrank mit einer Innenfläche von 600 × 300 mm und drei Tablaren ergibt das ein Prüfgewicht von insgesamt rund 110 kg. Für Möbel, deren Innenvolumen mehr als 0,225 m3 beträgt, gibt es eine einfache Formel für die Minderung der Prüflast. Denn sehr grosse Möbel werden offensichtlich nicht so dicht beladen. Die errechnete Last muss dann eine Woche lang auf das Prüfelement einwirken.
Solche Tests hat auch der Küchenhersteller Piatti durchgeführt. Dabei hat sich herausgestellt, dass die SMS-Konstruktion, bei der die Montage mittels Schrauben durch Rückwand und Querfries erfolgt, ihre Schwachstellen hat. «Früher war das kein Problem, die Belastungen waren weniger gross und meistens wurde bis unter die Oberbauten gefliest, was einen Teil der Belastung auffing», erzählt Stöpel. Ebenfalls positiv auf die Stabilität wirken sich Hochschränke aus, an denen die Oberschränke befestigt werden. Belastungen und Designansprüche haben sich aber mit den Jahren verändert. Deshalb setzt das Unternehmen mittlerweile auf einen Hängebeschlag mit Wandschiene. «Beim Test krachte der Oberschrank erst bei einer Gesamtbelastung von über 330 kg herunter», sagt Stöpel. Dabei hat aber nicht etwa der Beschlag oder der Hängeschrank selber versagt – durch das Gewicht scherten die Köpfe der Schrauben ab, mit denen die Wandschiene befestigt war. Dies zeigte, dass Beschläge und Konstruktion der Belastung gewachsen sind. «Uns wurde dadurch aber bewusst, dass die beste Konstruktion nichts bringt, wenn die Montage nicht gewissenhaft und einwandfrei erfolgt», ergänzt Hans-Jörg Stöpel. Aus diesem Grund erarbeitete man eine Montageanleitung für die Oberschränke, in der beispielsweise mindestens Fünfer-Schrauben für die Befestigung der Wandschiene vorgeschrieben sind.
Die Verwendung eines solchen Beschlagsystems bietet aber noch weitere Vorteile: Die Wandschiene hat alle 25 mm eine Bohrung für die Montage. Sollte mal eine Schraube nicht genug ziehen, hat der Monteur genügend Ausweichmöglichkeiten. Denn wer kennt die Situation bei anderen Systemen nicht – beim Bohren des Dübellochs stösst man auf einen Hohlraum oder ein Armierungseisen in der Wand. «Um kein zusätzliches Loch in die Rückwand bohren zu müssen, dreht man die Schraube halt trotzdem rein, obwohl jeder weiss, dass sie nicht genügend hält», sagt Hans-Jörg Stöpel.
Mit entsprechenden Schallschutzsets lässt sich die Wandschiene auch sehr einfach entkoppeln. Anders als mit Schallschutzdübeln ist der Monteur so absolut unabhängig, was die Wahl des Befestigungsmittels betrifft. Und zu guter Letzt lassen sich die Oberbauten, je nach Beschlag, um etwa 8 mm in der Höhe, 3 mm in der Seite und 10 mm in der Tiefe justieren. «Ist die Wandschiene sauber montiert, muss der Monteur kaum noch nachjustieren», ergänzt Stöpel. Wichtig dabei ist, dass die Oberschränke gegen ein unbeabsichtigtes Aushängen gesichert werden. Es gibt Beschläge, die mit einer integrierten Aushängesicherung ausgestattet sind. Ist das nicht der Fall, braucht der Monteur lediglich im unteren Bereich eine Schraube zu setzen. Hier darf aber der Schallschutzdübel nicht vergessen werden. Anderenfalls ist die gesamte Entkoppelung nutzlos.
Nochmals schwieriger wird es, wenn Oberbauten als ganze Insellösung geplant sind. «Da kann man nicht einfach durch den Deckel ein paar Schrauben in die Decke drehen», sagt Hans-Jörg Stöpel. In diesem Fall braucht es spezielle Trage- oder Hängekonstruktionen, die entsprechend befestigt wer- den müssen. Dasselbe gilt für die Montage von Inselabzugshauben. Gemäss Markus Unmüssig, Anwendungstechniker der SFS Unimarket AG, gibt es zwar keine Vorschriften bezüglich des Befestigungsmittels. «Die Erfahrung hat aber gezeigt, dass sich Nylondübel mit gewöhnlichen Holzschrauben für die Deckenmontage von belasteten Bauteilen nicht eignen», ergänzt Unmüssig.
Befestigungsspezialisten empfehlen aus diesem Grund bei Betondecken meistens den Einsatz von Stahlankern. Je nach Ankertyp müssen die Schrauben beziehungsweise Muttern mit einem Drehmomentschlüssel gemäss vorgegebenem Drehmoment angezogen werden. «Das Material kostet zwar etwas mehr, aber dafür hält die Befestigung dann auch», sagt Markus Unmüssig. Bei Decken aus anderen Materialien braucht es eine individuelle Beurteilung der Tragfähigkeit. Je nach Situation wird dann das passende Befestigungsmittel gewählt.
Beim Küchenhersteller Veriset verweist man beim Thema Oberbauten noch auf ein weiteres Thema: «Die Teller sind mittlerweile so gross, dass sie kaum noch in die Oberschränke hineinpassen», sagt Diana Dudas, Marketingleiterin bei Veriset. Dieses Problem wurde auch bei Piatti erkannt, und deshalb produziert das Unternehmen seit einigen Jahren Hängeschränke mit einer Tiefe von 350 mm, inklusive Front, statt der vorher üblichen 330 mm.
«Im Hochpreissegment sind Oberbauten sowieso immer weniger gefragt», hält Diana Dudas fest. Deshalb versucht man Oberschränke zu entwerfen, die nicht nur in der Küche zum Einsatz kommen können, sondern auch im Wohnraum. Im mittleren und tieferen Segment werden die Oberbauten aber kaum verschwinden. «In einer durchschnittlichen Küche gibt es schlicht zu wenig Platz, um auf diesen Stauraum verzichten zu können», erzählt Hans-Jörg Stöpel.
Genau aus diesem Grund hat übrigens auch die Frau aus dem Kassensturzbericht die Oberschränke montieren lassen – sie wollte mehr Stauraum in der Küche.
www.piatti.chwww.sfsunimarket.bizwww.veriset.chwww.orea-kuechen.chwww.grass.atVeröffentlichung: 19. Juli 2012 / Ausgabe 29-30/2012