Beängstigend fit

Kürzlich nahm Schreinermeister Urs Fischer mit Sohn Emanuel (l.) am «Ironman Switzerland» in Thun teil. Bild: PD

Leute. Eigentlich ist Urs Fischer ja pensioniert. Doch sein Schreibtisch bei der Wettstein AG in Riedt bei Erlen TG, wo er jahrzehntelang als Mitglied der Geschäftsleitung die Betriebsleitung und den Verkauf innehatte, ist immer noch ein Hotspot.

Die 78-jährige Familien-AG, die auf individuelle Möbellösungen im Business-Bereich sowie auf spezielle Lohnarbeiten fokussiert ist, kann immer noch auf ihn zählen. In flexiblem Pensum lässt der frisch Pensionierte seine Erfahrung ins Coaching des Nachwuchses, in die Technik, ins Qualitätsmanagement und die Kalkulation einfliessen. Kürzlich, bei seinem provisorischen Abschiedsanlass, hielt der 65-Jährige seinen 30 Arbeitskollegen einen Vortrag über «Glück und Zufriedenheit am Arbeitsplatz». Sein Credo: «Um innovative, ambitionierte und riskante Visionen strategisch erfolgreich durchzusetzen, braucht es Ausdauer und ein Team, in dem jeder seinen Talenten entsprechend die richtige Position einnimmt.» Wichtig sei auch ein vorbildliches Kader, überlegtes Risikomana- gement, emotionale Intelligenz, Ausdauer und ein Quäntchen Glück. Seit 2010 ist mit Stephan Wettstein die dritte Generation am Ruder. «Nachfolge geglückt», sagt er und lehnt sich dabei zufrieden zurück. Kann er auch, denn Fischer hat viel erreicht.

«Das Gehirn ist der wichtigste Muskel. Wenn man ihn trainiert und dann betätigt, explodieren die Ideen.»

Fast vier Jahrzehnte lang war der Schreinermeister Prüfungsexperte und durchlief unter anderem betriebswirtschaftliche und technologische Weiterbildungen. Seit 1981 gehört er zur Wettstein AG. Hier begleitete er gleich alle fünf Bauetappen und die Transformation von der analogen zur digitalen, industriellen Fertigung. Unter seiner Regie wurde die Wettstein AG 1992 als erstes Holz verarbeitendes Unternehmen in Europa ISO-zertifiziert. Schweizerische Pionierleistungen waren das Postforming im Durchlaufverfahren, das BAZ mit Kantenverleimung, die Entwicklung von Wasserlack, das vollautomatische Flächenlager und die PU-Heissschmelzverleimung. Darauf ist Urs Fischer stolz. Doch solche Höchstleistung braucht einen Energietreiber. Bei ihm ist es der Sport. Fotos im Büro zeigen ihn beim Klettern, auf Inlineskates, beim Langlaufen, auf dem Mountainbike, dem Rennrad usw. «Im Beruf ist es wie beim Sport. Es braucht Ausdauer, Mut, Timing und eine mentale Stärke wie beim Marathon so um Kilometer 40», sagt er. Im Moment trägt er am Handgelenk den Bändel des «Ironman Switzerland Thun 2024». Als Finisher qualifizierte er sich in seiner Alterskategorie für den Ironman auf Hawaii. Er fühlt sich fit. «Beängstigend fit», wie Fischer scherzend sagt. Wer an körperliche Tortur gewöhnt sei, nehme auch den Berufsalltag sportlich. «Das Gehirn ist der wichtigste Muskel. Wenn man ihn trainiert und dann betätigt, explodieren die Ideen», erklärt er.

Als Kreativitätsdoping dient dem gebürtigen Luzerner die Teilnahme am «absolut innovativsten Chaos namens ‹rüüdig verreckti Luzerner Fasnacht›». Reisen rund um die Welt ermöglichen ihm einen Blick über den Tellerrand. Für Ämtli und Vereine hat er keine Zeit. Da ist ja noch seine Familie, als Rückhalt und Kraftquelle. Und mit Holz kann Fischer auch noch umgehen. Kürzlich realisierte er für sich und seine Frau einen ebenerdigen Altersruhesitz, ein «Stöckli», wie er sagt. Denn eigentlich ist er ja pensioniert.

Beatrix Bächtold

Veröffentlichung: 04. November 2024 / Ausgabe 44/2024

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