Auf der Suche nach der Essenz

Severin Märki (60) schafft Figuren aus Holz, die klingen und miteinander zu kommunizieren scheinen. Bild: Cornelia Thürlemann

Leute. Der gelernte Zimmermann Severin Märki aus Aarau ist ein vielseitiger Mensch. Seinen Lebenunterhalt verdient er als Arbeitsargoge, seine Leidenschaft gilt dem Werkstoff Holz, mit dem er sich seit 30 Jahren auch künstlerisch auseinandersetzt.

Was ist er nun eigentlich, Severin Märki? Schreiner, Zimmermann, Künstler, Werklehrer, Kunst-Installateur, Feldenkreis-Therapeut, Arbeitsagoge, Musiker, Vater? «In erster Linie Mensch», sagt Märki, der einst, als junger Erwachsener, eine Lehre als Zimmermann machte. Künstler sei er geworden, weil er sich gerne ausdrückt und im Kontakt mit anderen ist. Seinen Lebensunterhalt verdient der Aarauer heute als Arbeitsagoge in einem aargauischen Schulheim. Doch die soziale Arbeit ist nur ein Teil seines Lebens. Märki möchte sich ausdrücken, sich mitteilen, sei es mit Skulpturen oder Musik, mit Improvisationen, Installationen mit anderen oder auch im Gespräch. Märki (60) arbeitet seit über 30 Jahren hauptsächlich mit Holz, manchmal auch mit Stein. Beides Naturelemente, die während eines langen Zeitraums gewachsen oder entstanden sind. «Ich bin kein Bildhauer, der zuerst ein Modell gestaltet und dieses vergrössert», erzählt er. Märki geht den umgekehrten Weg: «Ich schneide oder schleife weg, nehme weg, was zu viel ist.» Bis das Essenzielle bleibt. Bei diesem Prozess des Abtragens, zuerst grob, dann immer feiner, am Schluss mit dem Schleifpapier, entstehen Figuren. Figuren, die schon nach kurzem Betrachten in Schwingung geraten. Figuren, die einen Charakter haben. Da ist beispielsweise jene, die einem aufmerksam zuzuhören scheint, und eine andere, die sich etwas zaghaft abwendet. Die Figuren scheinen wie Teile eines Theaterstücks zu sein, zu dem auch die betrachtende Person gehört.

«Wenn ich auf einer Seite etwas wegnehme, hat dies Auswirkungen auf die ganze Figur.»

Märki arbeitet die Figuren aus Baumstämmen oder Holzblöcken heraus. Die Bäume findet er in der nahen Region, einen Kirschbaum aus Küttigen, einen Mehlbaum aus dem Tessin. Wenn Märki von ihnen erzählt, spürt man, dass er eine Beziehung zum gewachsenen Baum hat, dass er ihn ehrt, ja fast bewundert, für seine Struktur und Eigenheiten. Der Baum, den er auswählt, beeinflusst die Figur. «Es ist etwas anderes, wenn ich eine Figur aus einem Stück eines eher schnell wachsenden Mammutbaums oder aus einer langsam wachsenden Arve forme», erzählt Märki und zeigt auf die weiten Jahrringe des Mammutbaums, die in den 1920er-Jahren häufig in der Schweiz gepflanzt wurden, und die engen Jahrringe der Arve, die auf kargem Boden gedeiht. Beim Wegarbeiten der überflüssigen Teile lässt er sich von inneren Bildern tragen. Er kommuniziert mit der Figur, dem Holz, vom ersten Wegschneiden bis zum letzten Schliff. «Wenn ich auf einer Seite etwas wegnehme, hat dies Auswirkungen auf die ganze Figur», erzählt er. Meist arbeitet er an mehreren Figuren gleichzeitig. Als wäre das Holz ein Instrument, und die Figur, die entsteht, der Ton. Denn Märki ist auch Musiker, spielt Klarinette und Saxophon in wechselnden Formationen. Bei einem Jazzkurs diesen Sommer lernte er drei Musiker kennen, mit denen er sich neu zum gemeinsamen Spielen trifft. Märki freut sich auf den gemeinsamen gestalterischen Prozess, auf das Hinhören, Antworten, das Improvisieren, auf das Unbekannte.

Märki liebt Gegensätze, leicht und schwer, rund/kantig, beweglich/starr, hell/dunkel. Eine Kugel rollt, normalerweise, aber die Riesenkugel, die Märki vor einigen Jahren aus Hunderten von kleinen quadratischen Holzwürfeln gebaut hat, rollt nicht. Sie ist ein Widerspruch in sich. Sie steht bolzengerade da, kann nicht rollen. So sind viele der Kunstwerke von Märki, ein Spiel mit der Wahrnehmung, und gleichzeitig ein Ausdruck der Achtung dessen, was ist.

Cornelia Thürlemann

Veröffentlichung: 07. Oktober 2024 / Ausgabe 40/2024

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