Auf den Spuren eines Grenzgängers

Stefan Bugolotti (42) hat die Schweiz entlang ihrer Grenzen umwandert. Bild: Caroline Schneider

«Ich bin ein Grenzkind», sagt Stefan Bugolotti, wenn man ihn fragt, weshalb er dieses Projekt unter die Füsse genommen hat. Die Idee, die Schweiz zu Fuss entlang der Grenze zu umwandern, beschäftigt den 42-Jährigen schon lange. Er ist in Kleinlützel SO, nahe der französischen Grenze, geboren und aufgewachsen. «Ich wollte wissen, was die Schweiz diesseits und jenseits der Grenze beschäftigt, und ich wollte herausfinden, was mich selbst bewegt.» Er kündete seine Wohnung, hängte seinen Job an den Nagel und begab sich auf eine unbestimmte Auszeit. Er startete in Laufen BL, ausgerüstet mit dem Elementarsten: mit Zelt, Matratze, Daunendecke, Sackmesser, Handy, Kartenmaterial und ein paar Wechselkleidern. «Ich wollte mit möglichst wenig Gewicht unterwegs sein. Deshalb habe ich auf die Kochausrüstung verzichtet.» Bugolotti legte 2200 km zurück – durchschnittlich 20 bis 30 km pro Tag – und verbrauchte dabei drei Paar Wanderschuhe. Sein Tag startete um 5 Uhr, und dann trugen ihn seine Beine zehn bis zwölf Stunden lang. «Der nach Aufwand längste Tag war der Piz Umbrail. Ich bin 14 Stunden durchgelaufen.» Der gelernte Schreiner verfügt nicht nur über eine starke Kondition, sondern auch über einen starken Geist. In schwierigen Situationen zieht er sich immer wieder selbst aus dem Sumpf. «Ehrgeiz, Hartnäckigkeit und Neugier sind meine Antreiber.» Seine Beine wurden auf den Hunderten von Kilometern arg strapaziert. «Jeden Abend habe ich sie mit Murmeltiersalbe eingestrichen.» Fünf Dosen habe er auf seiner Rundtour um die Schweiz verbraucht. Das Eincrèmen mit Murmelisalbe gehört inzwischen zu seinem liebgewonnenen Zubettgeh-Ritual.

Bugolotti stiess während seiner dreier Monate an viele Grenzen, nicht bloss an die physischen, die ihn umgaben, sondern auch an seine eigenen. «Wenn du tagelang mit dir alleine in wilder und menschenleerer Natur unterwegs bist, klopft manchmal die Einsamkeit bei dir an. Ich habe mich oft alleine gefühlt, aber es ging darum, dieses Gefühl anzunehmen und es nicht zu verdrängen. Ich habe viele Selbstgespräche geführt.» Auch körperlich stiess er an Grenzen. Etwa bei Wetterumschwüngen mit erbarmungslosem Niederschlag, der seine Kleidung bis auf die Knochen nass werden liess und bei dem er vor lauter Kälte seine Glieder nicht mehr spürte. Als die Murmeltiersalbe ihre Wirkung nicht mehr entfaltete und die Schmerzen in seinem Bewegungsapparat nicht mehr weggingen, war er weise genug, die Stimme des Ehrgeizes ins Hinterland zu schicken und seiner inneren Stimme zu folgen, die ihn zum Aufhören drängte. So brach er sein Projekt 350 Kilometer vor dem Ziel ab. Das Schönste auf seiner Reise waren die spontanen, erfrischenden Begegnungen mit Menschen. «Unterwegs traf ich eine Frau, die mit mir ihren Rotwein teilen wollte. Ein paar Wochen später meldete sie sich unverhofft wieder und hat mich während zweier Tage begleitet. Solche Begegnungen bestärkten mich immer wieder, weiterzumachen. Das Teilen mit Menschen gehört für mich zum grössten Glück.» Bugolotti wird philosophisch: «Grenzen sind da, um an sie zu stossen. An einer Grenze wirst du auf dich selbst zurückgeworfen. Grenzen zeigen dir auf, wo du stehst, und fordern dich zum Hinterfragen auf.» Als Grenzgänger wird er selber immer nach ihnen suchen. Zum Abschluss zitiert er Goethe mit den Worten: «Nur wo du zu Fuss warst, bist du auch wirklich gewesen.»

«Wenn du tagelang mit dir alleine in der Natur unterwegs bist, klopft manchmal die Einsamkeit bei dir an.»

Caroline Schneider

Veröffentlichung: 18. November 2021 / Ausgabe 47/2021

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