Schaukeln bis ganz nach oben

Der 31-jährige Mirco Scherrer (oben l.) gehört zu den besten Ringturnern der Schweiz. Bild: PD

«Es ist nicht dasselbe, ob man für ein bestimmtes Ziel trainiert oder sich ohne Perspektive motivieren muss.»

Es war im Mu-Ki-Turnen, wo die Karriere von Mirco Scherrer begann. Dort nämlich fiel seiner Mutter die Begabung ihres Dreijährigen erstmals so richtig auf. Grund genug für die begeisterte Turnerin, ihn bei Schul-eintritt in die Geräteriege zu schicken. Seither gehört der Turnverein Wattwil SG untrennbar zum Leben des 31-Jährigen. Und er ist ausschlaggebend dafür, dass der ausgebildete Schreiner und Projektleiter zu den besten Ringturnern des Landes zählt. Doch das erwähnt der trainierte junge Mann an diesem Montagmorgen im Pausenraum der Schreinerei Schmid in Wattwil beiläufig in einem Nebensatz. Er ist keiner, der mit seinen Erfolgen hausieren geht, das Prahlerische liegt ihm nicht. Lieber erzählt er von seinen Aufgaben als Technischer Leiter des Vereins – und von seiner grossen Leidenschaft, dem Sport. Er lacht: «Ich bin schon als Kind ständig gerannt und überall raufgeklettert, immer so hoch wie möglich.» Im Turnen war ihm die Bestnote auf sicher, da machte ihm so schnell keiner etwas vor. Wohin der sportliche Weg führen sollte, war hingegen nicht von Anfang an klar. Scherrer fuhr Skirennen, mass sich in Leichtathletik, spielte Unihockey. Nichts von alledem kam an seine Freude beim Geräteturnen heran. Der bewegungsfreudige Bub machte sich gut im Bodenturnen, am Reck und Barren – besonders liebte er die Sprünge vom Minitrampolin. Nach einem Jahr bestand er die Prüfungen und war damit wettkampfberechtigt, da ging es so richtig los.

Als er mit 13 in die Aktivriege «Saltos» kam und mit dem Sektionsturnen an den Ringen anfing, hatte er seine sportliche Heimat gefunden. «Das Ringturnen ist wie für mich gemacht. Es ist etwas Spezielles, das nicht jeder kann.» Sein Palmares ist beeindruckend: mehrere Schweizer Meisterschaften und Teilnahme an den wichtigsten Wettkämpfen, wie dem vom Weltgymnastikverband organisierten Turnfest Gymnaestrada. In der Agenda vermerkt ist bereits die Gymnaestrada in Amsterdam 2023 – ein Silberstreifen am Horizont nach der wettkampffreien Zeit während der Pandemie. «Es ist nicht dasselbe, ob man für ein bestimmtes Ziel trainiert oder sich ohne Perspektive motivieren muss, um in Form zu bleiben», sagt Scherrer. Ausserdem hat er die Geselligkeit seiner Turnerfamilie vermisst. Viele seiner Freunde – und seine Frau – hat der frisch Verheiratete im Turnverein kennengelernt. Was seine Wettkampfform angeht, kämpft er sich gerade zurück auf das Niveau vor seinem Halswirbelbruch: 13 Wochen Halskrause und Trainingsverbot gilt es aufzuholen. Deswegen jammern mag er nicht, es war seine bisher einzige relevante Verletzung in all den Jahren.

Bei allem Ehrgeiz bezeichnet er das Ringturnen in erster Linie als Ausgleich zum Alltag. Umgekehrt sieht er den Schreinerberuf als ideale Voraussetzung dafür: Kraft, Präzision und Ausdauer brauche man hier wie dort. Training oder Wettkämpfe haben weder die Lehre noch seine Berufstätigkeit noch die Weiterbildung zum Projektleiter tangiert. Bis zu fünfmal pro Woche war Scherrer damals in der Halle anzutreffen.

Was sagt eigentlich seine Mutter heute zum erfolgreichen Sohn? Er lacht: «Sie ist schon sehr stolz und wird im Dorf immer wieder auf mich angesprochen, obwohl ich jetzt in Wattwil wohne. In Mogelsberg, wo ich aufgewachsen bin, kennt jeder jeden. Dort bin ich für alle ‹der Turner›.»

Franziska Hidber

Veröffentlichung: 03. Februar 2022 / Ausgabe 5/2022

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