Schreiner bringt Glück in Favela

Schreiner Adrian Scheidegger (28) hat mit seinem Beruf und seiner Berufung Kindern und Jugend-lichen in einer brasilianischen Favela geholfen. Bild: Beatrix Bächtold

Brasilien tönt nach Fussball, nach Samba und weissem Strand. 200 Mal so gross wie die Schweiz ist dieses Land, 200 Millionen Menschen leben dort. Einige in Saus und Braus, ganz viele im Elend. Und genau zu jenen hat es Adrian Scheidegger gezogen. Während der vergangenen zwei Jahre hat er in São Paulo eine Kundenschreinerei aufgebaut, um aus Strassenjungen und Jugendlichen aus armen Verhältnissen Schreiner zu machen. «Ich wollte ihnen eine Perspektive geben», sagt er jetzt, nach seiner Rückkehr in die Schweiz. Doch der Reihe nach: Nach seinem Lehrabschluss im Jahr 2007 zieht es den frischgebackenen Schreiner ins Ausland. «Ich wollte etwas Soziales machen. Klar, auch in der Schweiz gibt es arme Menschen, aber in gewissen Ländern ist der Bedarf an Hilfe noch grösser», erklärt er. Scheidegger stösst im Internet auf die Website der Schweizerischen Missions-Gemeinschaft (SMG). Diese christliche Organisation sucht weltweit Menschen, die bereit sind, anderen Menschen zu helfen. Der damals 23-Jährige kündigt 2011 seine Stelle und folgt seiner Mission. Er kauft mit seinem Ersparten ein Ticket nach São Paulo und lebt einige Monate in einer Favela, einem Elendsviertel. Als Schreiner ist er hier bei einem Strassenkinderprojekt der Hilfsorganisation SMG ein gefragter Mann. «Als Erstes zog ich eine Holzdecke zwischen Wellblechdach und Wohnraum, damit es nicht mehr so unerträglich heiss war», sagt er.

Der junge Schreiner aus dem zürcherischen Dielsdorf repariert Möbel oder fertigt Pulte und Bänke für die Vorschulkinder an. Diese sind fasziniert von der Handwerkskunst ihres «Onkels Adrian». Im Hilfsprojekt lernt Scheidegger Mike Volkart kennen, einen Zimmermann aus der Schweiz. «Irgendwann fragten wir uns: Was wird eigentlich mit diesen Kindern, wenn sie aus dem Heim herauskommen? Und so steckten wir uns das Ziel, Strassenjungen mit dem Schreinerberuf eine Zukunft zu geben, damit sie nicht auf die schiefe Bahn geraten», sagt der engagierte Handwerker. Die beiden Schweizer «Holzwürmer» schliessen diesen Pakt, und im April 2014 fliegt Adrian Scheidegger mit nichts ausser einem Werkzeugkoffer und seinen zwei fleissigen Händen nach São Paulo. Zuerst war es für den Schweizer eine ziemliche Umstellung. Er, der an modernste Technik gewöhnt ist, wird von der Infrastruktur her um Jahrzehnte zurückgeworfen. «Durch die täglichen Improvisationen bin ich fachlich gereift», sagt er. Der Schreiner und sein Holzbauer-Kollege mieten eine Halle und eröffnen darin mit einer Tischfräse, einer Bandsäge und einer kombinierten Hobelmaschine eine Kundenschreinerei. Und sie geben Igor, einem Jugendlichen aus der Favela, eine Art Lehrvertrag und damit die Chance auf ein besseres Leben. «Schweizer Qualität und Know-how werden in der Welt geschätzt. Bald hatten wir für unsere Massarbeit zahlungskräftige Stammkunden», sagt Scheidegger. Die kleine Firma gedeiht, und Igor entpuppt sich als begabter Schreiner. Das Handwerk hat ihm goldenen Boden unter seine Füsse gelegt, auf welchem er jetzt in eine bessere Zukunft gehen kann. Adrian Scheidegger war zwei Jahre lang Chef dieser kleinen Firma. Jetzt läuft sie selbständig, und der 28-Jährige ist kürzlich wieder in die Schweiz zurückgekehrt. Er sagt: «Brasilien ist im Moment abgeschlossen. Doch als gläubiger Christ werde ich ohne zu zögern wieder aufbrechen, um den Menschen zu helfen, sobald Gott mir den Weg weist.»

«Schweizer Qualität und Know-how werden in der Welt geschätzt. Bald hatten wir für unsere Massarbeit zahlungskräftige Stammkunden.»

beb

Veröffentlichung: 21. April 2016 / Ausgabe 16/2016

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