Rauhnacht-Träume in Holz

Florian Hunziker (47) verleiht seinen Träumen währendder Rauhnächte Farbe und Form. Bild: Franziska Hidber

Ein Stuhl, aus dem Laub wächst. Eine Schiffsschraube. Eine Brücke, eine Maske, eine Nuss. Ein Baum mit knorrigen Ästen. Florian Hunziker legt die kleinen Druckplatten aus Holz vor sich auf den Tisch in seinem Schreinereibetrieb mitten in Frauenfeld TG. Die Sujets hat er selbst geschnitzt, in der mystischen Zeit «zwischen den Jahren», während der sogenannten Rauhnächte zwischen Weihnachten und Dreikönigstag. Das Schnitzen und die Rauhnächte gehören für den Schreiner untrennbar zusammen. Was er während der Rauhnächte träumt, schnitzt er in die Lindenholzplättchen, danach findet es im Hochdruckverfahren den Weg aufs Papier. Alles, was herausgeschnitzt ist, bleibt weiss – der Rest wird schwarz oder farbig. «Ich bin kein Esoteriker», sagt der gross gewachsene Vater dreier Kinder; auch Aberglaube, Orakel oder Prophezeihungen seien nicht seine Welt. Doch dass jede Rauhnacht einem Monat im neuen Jahr zugeordnet werde, habe ihn fasziniert. «Es nahm mich wunder, ob wirklich etwas daran ist. Weniger im Sinne einer Vorhersage, sondern eher, ob die Themen, die im Traum auftauchen, mich dann in jenem Monat wirklich umtreiben würden.» Und zu seiner Verblüffung sei genau das passiert: Was er in der fünften Rauhnacht träumte, spielte im Mai tatsächlich eine Rolle. In den ersten Jahren hielt er die Traumsujets fotografisch und zeichnerisch fest.

Dann besann sich der Handwerker auf die Holzschnitte, die er in der Oberstufe im Werkunterricht mit Leidenschaft hergestellt hatte. Er begann, seine Rauhnacht-Träume ins Holz zu kerben, zu schnitzen. Er stand morgens zeitig auf, solange die Traumbilder noch frisch waren. Manchmal zeichnete er sie zuvor akribisch auf und pauste durch, damit Perspektive, Schattenwürfe und das Sujet stimmten und nicht etwa spiegelverkehrt herauskamen.

Manchmal aber ging er «mit der Hand direkt ins Holz». Das war vor sieben Jahren, und seither ist es dabei geblieben: In den Rauhnächten schnitzt der Schreiner. Das letzte Mal hat er sich dafür in ein «Badhüsli» am Bodensee zurückgezogen, eine Auszeit von Familie und Beruf genommen. Zwischendurch feierte er Silvester mit der Familie oder genoss das Arbeiten in der Bildschule Frauenfeld, die ihm einen Raum und eine Druckpresse zur Verfügung stellte, bevor er sich wieder an den See zurückzog, gespannt auf den nächsten Traum, den nächsten Holzschnitt. Er sei ein Tüftler und Knobler und liebe neue Herausforderungen, sagt er über sich. So verfeinerte er die Technik Jahr für Jahr, bis hin zum Mehrfarbendruck. Unterdessen verkauft der 47-Jährige seine Drucke auch. Dabei geht es ihm nicht um den kommerziellen Aspekt: «Das Schnitzen ist mein Hobby und ein idealer Ausgleich zum umtriebigen Alltag als Geschäftsführer meiner Schreinerei, und das soll so bleiben.» Wichtiger ist ihm der Austausch: «Die alten Bräuche und Weisheiten rund um die Rauhnächte wecken die Neugierde der Leute, das Interesse daran wächst.» Er lacht. «Ich habe mir in der Region als ‹Rauhnacht-Schnitzer› bereits einen Namen gemacht.»

Wenn der Herbst ins Land zieht und er die Sujets der neunten und zehnten Nacht hervorholt, bereitet er sich auf die nächsten Rauhnächte vor, bestimmt Holz und Grösse und Technik und freut sich auf den Rückzug und die nächsten Träume. Einen Traum allerdings träumt er auch tagsüber: Jenen von einem grossformatigen Holzschnitt-Werk in Schwarz-Weiss. Die Drucke von Florian Hunziker sind vom 2. bis am 19. April in der Stadtgalerie Baliere in Frauenfeld zu sehen.

«Das Schnitzen ist ein idealer Ausgleich zum umtriebigen Alltag als Geschäftsführer meiner Schreinerei, und das soll so bleiben.»

hid

Veröffentlichung: 23. Januar 2020 / Ausgabe 4/2020

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