Eine Wiese ist nicht einfach grün

Zwischen Hegi und Wiesendangen ZH übersteigt Sara Zünd am 3. April 2018 die Ortstafel. Die Walz beginnt. Bilder: Felix Singer/Sara Zünd

Leute. Im kommenden Sommer ist es so weit: Sara Zünd schliesst an der «Schnätzi» in Brienz BE die Ausbildung zu Holzbildhauerin ab.

Eigentlich wollte die 34-jährige Winterthurerin bereits nach der Matur am «Liceo Artistico» in Zürich Holzbildhauerin werden. «Mein grosser Wunsch aber war es damals schon, einen eigenen Zirkuswagen zu bauen», sagt sie. So nahm sie das Projekt in Angriff, stiess aber beim Korbbogendach an ihre Grenzen. Handwerkerinnen und Handwerker der Genossenschaft Holzlabor halfen ihr weiter. Und die Idee entstand, Schreinerin zu lernen. «Niemand sagt dir, dass du nach der Matur auch eine Berufslehre machen kannst.» So wurde sie die erste Lernende der Genossenschaft, die ihren Sitz heute in Altikon ZH hat. 2015 schloss Zünd die Lehre ab und arbeitete danach projektbezogen in der Wagnerei Koch in Glattfelden ZH. Im Holzlabor kam sie erstmals mit wandernden Handwerkern in Kontakt. «Ich war mir zunächst nicht sicher, ob ich die Walz tatsächlich wagen soll. Die Kluft öffnet einem zwar viele Türen, ist aber auch eine Uniform.» Schliesslich war es ihr heutiger Lebenspartner Ben, der sie «losgebracht» hat, wie es im Jargon der wandernden Handwerkerinnen heisst. Mit dem Übersteigen der Ortstafel bei Wiesendangen ZH nahm die gut dreijährige Wanderschaft als freireisende Schreinerin ihren Anfang.

«Die meisten Menschen sind hilfsbereit. Das hat mein Menschenbild positiv beeinflusst.»

Am Startritual war auch der Fotograf Felix Singer dabei. Er kennt Zünd seit sie mit seinem Sohn in Winterthur-Seen in den Kindergarten ging. «Er kam mit der Idee einer Langzeitreportage auf mich zu.» Das Ergebnis des gemeinsamen Projektes ist ein dokumentarischer Bildband. Ab 1. März ist ein Teil der Schwarzweiss-Fotos in einer Ausstellung in der Alten Kaserne in Winterthur zu sehen. Von Wiesendangen aus ging Zünd zunächst nach Elgg und dann Richtung Norden. «Ich war viel in Deutschland unterwegs», sagt sie. Aber auch Italien und Frankreich hat sie länger bereist. Weiter weg wollte sie gar nie. «Eine Wiese ist auf den ersten Blick schlicht grünes Gras, doch wer genauer hinschaut, entdeckt die Vielfalt», sagt sie. «Es war bereichernd, in die unterschiedlichen Werkstätten und die Arbeitsphilosophien Einblick zu bekommen.» Die Walz fiel in die Corona-zeit. Weil Trampen schwierig war, durfte sie ausnahmsweise und in Absprache mit dem Kondukteur auch den Zug nehmen. «Ich bin aber viel zu Fuss unterwegs gewesen. Wenn ich einen Ort verliess, bin ich den ersten Tag immer zu Fuss gegangen», sagt sie. Unterwegs haben sich viele spannende und manchmal sehr persönliche Begegnungen ergeben. «Die meisten Menschen sind hilfsbereit. Das hat mein Menschenbild positiv beeinflusst», sagt Zünd. Am Chiemsee habe eine Frau ihr und einigen Kolleginnen ein Ferienhaus als Unterkunft angeboten. «Als Entschädigung für das Gastrecht hat sie uns gebeten, ihr einen Wandschrank zu bauen.»

Besonders in Erinnerung bleiben ihr auch die Sommerbaustellen, auf denen die reisenden Gesellinnen und Gesellen jährlich ein gemeinnütziges Projekt unterstützen. «In einem Dorf östlich von Berlin etwa haben wir einen Spielplatz und eine Treppe gebaut. Ausserdem ein Scheunendach saniert und ein kleines Sägewerk betrieben. Wir möchten von dem vielen, das wir unterwegs erhalten, etwas an die Gesellschaft zurückgeben».

Stefan Hilzinger

Veröffentlichung: 03. März 2025 / Ausgabe 9/2025

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Leute. «Ich war schon als Kind viel und gerne draussen unterwegs und habe meinem Vater bei der Arbeit auf dem Bauernhof geholfen. Wäre ich nicht Schreiner geworden, hätte ich Bauer gelernt und den Hof meiner Eltern übernommen», erzählt der 35-jährige Armon Feuerstein, der zusammen mit drei Geschwistern in Fuldera im Münstertal/Val Müstair GR aufgewachsen ist.

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