Die Flecken sind vermeidbar
Gute Sicht auf die ansprechende Präsentation: Das erwartet man beim Blick ins Schaufenster. Bild: Andreas Brinkmann
Gute Sicht auf die ansprechende Präsentation: Das erwartet man beim Blick ins Schaufenster. Bild: Andreas Brinkmann
Glasfehler. Flecken und Streifen, die bei gewissen Lichtverhältnissen in Glasscheiben sichtbar werden, müssen vom Kunden rechtlich akzeptiert werden. Sie entstehen bei der Fertigung von thermisch vorgespanntem Glas. Ein neues Verfahren zeigt, dass das Phänomen vermeidbar ist.
Egal, in welchem Winkel man auf ein Schaufenster zuläuft, man hat die Erwartung, dass die Präsentation dahinter ansprechend ist. Bereits die natürliche Spiegelung des Glases kann da schon stören. Noch schlimmer ist es, wenn die Scheibe nicht richtig gereinigt worden ist und Schlieren den klaren Durchblick erschweren. Die spiegelnde Wirkung von Glas ist allerdings toll, wenn hohe Gebäude mit durchgehenden Glasfassaden wie makellose Kristalle aus den umliegenden, grauen Klötzen hervorstechen.
Gerade grosse Glasfassaden verlangen nach einer entsprechend grossen Perfektion, was die Ausrichtung der Elemente, die Wirkung einer allfälligen Beschichtung und die der Glasqualität anbelangt. Manchmal, wenn der Blick oder das Sonnenlicht in einem flachen Winkel auf die Glasflächen trifft, kann es sein, dass sich graue bis farbige Muster auf den Scheiben zeigen. Die Erscheinungen sind ringförmig, zeigen Streifen oder wirken wie ein Leopardenmuster – wie wenn sich ein leichter Ölfilm auf der Oberfläche befinden würde. Solche optischen Phänomene nennen sich in der Fachsprache Anisotropien, und sie können beim Vorspannen von Flachglas entstehen.
Bei der Herstellung von Einscheibensicherheitsglas (ESG) oder teilvorgespanntem Glas (TVG) schreckt man das auf weit über 600 °C erhitzte Glas mit Kaltluft ab. Dadurch entstehen Spannungszonen, die zu Doppelbrechungen des Lichts im Glas und somit bei bestimmten Lichtverhältnissen zu optischen Unregelmässigkeiten, Anisotropien, führen. Werden solche Scheiben in polarisiertem Licht betrachtet, das auch im Tageslicht enthalten ist, werden die Spannungsfelder als farbige Zonen sichtbar.
Wer also mit einer polarisierten Sonnenbrille unterwegs ist, wird dem Phänomen oft begegnen können. Die deutsche Arcon Flachglas-Veredlung GmbH weist darauf hin, dass dieser Effekt mit zunehmender Glasdicke stärker ausfällt. Ebenfalls verstärkt kann er bei mit Sonnenschutzbeschichtungen ausgestatteten, vorgespannten Gläsern auftreten.
Dieser physikalische Effekt wird in der Regel als sehr unschön wahrgenommen, muss allerdings hingenommen werden. Weil er aus der Spannungsverteilung wärmebehandelter Gläser resultiert, wird er auch von allen gültigen Normen und Richtlinien akzeptiert und ist somit nicht reklamierfähig. Damit stellt sich auch automatisch die Frage, was man dagegen unternehmen kann. Eine spiegelnd beschichtete Verglasung mit der Wirkung einer ölig schimmernden Oberfläche dürfte kaum noch ein klares Spiegelbild abgeben. Ist ein Sicherheitsglas gefordert, kann man gut auf ein Verbundsicherheitsglas (VSG) ausweichen – reines Floatglas zeigt sich immer klar. Bei TVG und ESG geht es aber um eine wesentlich erhöhte Biegezugfestigkeit der Scheiben. Thermisch vorgespannte Gläser bieten eine höhere mechanische Bruchfestigkeit als Floatglas und sind resistenter gegenüber Temperaturwechseln.
Bei Arcon wollte man das Phänomen nicht einfach hinnehmen, und man setzte sich intensiv damit auseinander, warum Anisotropien entstehen. Wie schon erwähnt, handelt es sich dabei um Unregelmässigkeiten im Spannungsverlauf während des Härtungsprozesses, die produktionsbedingt entstehen. Müssen sie deshalb aber als unvermeidbar angesehen werden?
Das Unternehmen hat ein Verfahren entwickelt, mit dem es die Produkte «Arcon Topview ESG» und «Arcon Topview TVG» anbieten kann. Die Gläser weisen eine so geringe optische Beeinträchtigung durch Anisotropie auf, dass diese nicht mehr als störend empfunden wird. Der Schlüssel dazu ist eine von Arcon entwickelte Messtechnik, welche die quantitative Berechnung des Isotropiewertes erlaubt. Der Wert bezeichnet den Flächenanteil der Glasscheibe, der frei von störenden Anisotropie-Effekten ist. Konkret heisst das: Eine Scheibe mit einem Wert von 100 % zeigt gar keinen solchen Effekt. Gemäss einer Qualitätseinstufung, die im deutschen «Isolar Kompass» veröffentlicht wurde, ist ein Wert bis 50 % unzumutbar, bis 70 % unterdurchschnittlich, bis 85 % entspricht er der marktüblichen Qualität. Erst darüber spricht man von einer guten optischen Qualität, ab 95 % gilt sie als exzellent.
Mit diesem Messverfahren kann also neu die Homogenität der thermischen Vorspannung dokumentiert werden. Die deutsche Ilis GmbH hat als Kooperationspartner von Arcon mit ihrem «StrainScanner» das erste Gerät auf den Markt gebracht, das im Durchlauf misst und die Daten inklusive der Isotropie-Wert-Bestimmung in Echtzeit auswertet. Da können die Messprotokolle als Produktionsbescheinigung gleich mitgeliefert werden. Wer in der Lage ist, so eine automatische und kontinuierliche Messung durchzuführen, kann seine Produktion optimieren und die Prozesse verfeinern. Damit wird eine hohe optische Qualität durchaus realistisch. Wenn Unregelmässigkeiten im Vorspannungsprozess reduziert werden, dann darf man vermuten, dass dadurch auch die physikalischen Eigenschaften des Produktes an Qualitätssicherheit gewinnen.
Auch wenn Anisotropien von allen geltenden Normen und Richtlinien als nicht vermeidbar akzeptiert werden und somit nicht reklamierfähig sind, sollten wohl die Anbieter vorgespannter Gläser ihre Kunden auf das Phänomen und die mögliche Lösung aufmerksam machen. Nicht vermeidbar ist es wohl nicht mehr.
Veröffentlichung: 17. Januar 2019 / Ausgabe 3/2019
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