Der VSSM ist für neue Herausforderungen bereit

VSSM-Direktor Daniel Furrer (links) und Zentralvorstandspräsident Thomas Iten beim Interview. Bild: Noah Gautschi

Zum Jahreswechsel. Nach einem ereignisreichen Jahr startet der Verband Schweizerischer Schreinermeister und Möbelfabrikanten (VSSM) hoffnungsvoll ins Jahr 2023. Zentralpräsident Thomas Iten und Direktor Daniel Furrer schauen zurück und benennen die wichtigsten Ziele.

SCHREINERZEITUNG: Kurz vor Weihnachten kam die frohe Botschaft aus Bern, dass der arbeitsrechtliche Gesamtarbeits­vertrag (GAV) für die Schreinerbranche per 1. Januar 2023 für allgemeinverbindlich erklärt wurde. Sind Sie froh, dass der GAV 2022 bis 2025 endlich unter Dach und Fach ist? 

THOMAS ITEN: Ja, wir sind sehr erleichtert. Es war diesmal ein spezielles Verfahren. Denn der Prozess für die Allgemeinverbindlichkeitserklärung des GAV wurde durch Einsprachen blockiert. Daniel Furrer, ich und Vertreter der Gewerkschaften wurden deswegen vom Seco, dem Staatssekretariat für Wirtschaft, zu einer Anhörung eingeladen. Das war einmalig und geschah auf Wunsch des Bundesrats. Erstmals hat der Gesamtbundesrat die Allgemeinverbindlichkeitserklärung behandelt. Unterzeichnet wird das Dokument von der/dem zuständigen Departementschefin oder -chef sowie der/des Bundespräsidentin oder -präsidenten. Wir hoffen, dass dieser Entscheid nun gefestigt ist. Er hat auch eine Signalwirkung gegenüber anderen GAV in der Baubranche. Denn wäre unser GAV abgelehnt worden, wären wohl sämtliche Verträge der Baubranche anfechtbar geworden. 

Was unterscheidet den neuen GAV vom vorhergehenden? 

ITEN: Dieser ist nicht gross anders, sondern ähnelt stark dem alten. Man hat ihn dem ­alten GAV angeglichen, mit Verbesserungen für die Arbeitgeberseite. Es ist somit eigentlich der bessere Vertrag. Die Einsprecher haben den GAV allgemein bekämpft. 

Lässt man die aktuelle Situation auf sich beruhen oder geht der Verband auf die Einsprecher zu, um sie wieder an Bord
zu holen? 

ITEN: Das Verfahren ist abgeschlossen. Die Unternehmen, die Einsprache machten, waren nicht im Verband oder sind ausgetreten. Sonst hätten sie diesen Schritt nicht machen können. Selbstverständlich werden wir das Gespräch mit diesen zu gegebener Zeit suchen. 

DANIEL FURRER: Der bis 2025 gültige GAV ermöglicht es, uns bereits Gedanken über das folgende Regelwerk zu machen. Der Prozess, einen GAV zu entwickeln, ist langwierig. Da ist es gut, Klarheit und Grundlagen für den nächsten zu haben. 

Wann startet der neue Prozess? 

ITEN: Schon bald. Im ersten Quartal dieses Jahres werden interne Gespräche in der VSSM-Verhandlungsdelegation und der GAV-Kommission geführt. Dabei werden die Prioritäten für den neuen Vertrag festgelegt. Denn wir sind der Meinung, dass dieser ein grösserer Wurf werden muss. Insbesondere bezüglich der Arbeitszeitmodelle und der Flexibilität, die uns schon immer ein Anliegen waren. Hinzu kommt, dass wir den grossen, industriell produzierenden Unternehmen Hand bieten und das Gespräch ­suchen möchten. In einer Arbeitsgruppe sollen Themen, die sie speziell beschäftigen, besprochen und später in die Verhandlungen eingebracht werden. 

Der VSSM wurde letztes Jahr durch Wechsel im Zentralvorstand, einen neuen Direktor und neue Mitglieder in der Geschäftsleitung etwas durch­geschüttelt. Wo steht der Verband? 

ITEN: Ich werde öfters darauf angesprochen. Doch so turbulent war es auch nicht. Die zwei Neubesetzungen im Zentralvorstand waren von langer Hand wegen der Amtszeitbeschänkung und eines Branchenwechsels geplant. Die Wechsel in der Geschäftsstelle haben den ZV stark beschäftigt, und der Direktorenwechsel wurde einstimmig beschlossen. Wir wollten mit einem neuen Gesicht frischen Wind reinbringen. Dabei war dem Zentralvorstand klar, dass Daniel Furrer unser Kronfavorit war und wir das Gespräch mit ihm suchten. Wir waren der Meinung, dass wir mit Daniel Furrer eine Person aus dem inneren Kreis des Verbands befördern möchten, die gut vernetzt und akzeptiert ist sowie viel Fachwissen mitbringt. Ich möchte Mario Fellner dabei nochmals für seinen Einsatz während der sechs Jahre danken. Neue Gesichter bedeuten auch immer neue Chancen und Möglichkeiten. Ich bin deswegen sehr zuversichtlich, mit dem frisch gebildeten Team loszulegen. 

FURRER: Mein Start als Direktor Anfang November ist aus meiner Sicht sehr positiv verlaufen. Von meinen Mitarbeitenden und Geschäftsleitungs-Kollegen erhalte ich gros­se Unterstützung. In der GL verfügen wir nun über eine gute Mischung aus gestandenen Personen und neuen Kräften. Ich bin überzeugt, dass die Wechsel ohne Leistungseinbussen gegenüber den Mitgliedern und Kunden über die Bühne gehen. Natürlich können Neubesetzungen gewisse Unsicherheiten auslösen. Doch sie geben auch immer Raum für neue Ideen und Heran­gehensweisen. Im baldigen Workshop der ­Geschäftsleitung werden wir die Neuen abholen und uns mit den Schwerpunkten der Legislatur 2023 bis 2026 auseinandersetzen. 

Welche Themen geht man zuerst an? Brennt es irgendwo? 

ITEN: Die politische und wirtschaftliche Situation beschäftigt uns stark. Wir sind zum Glück im ganzen Verbandsgebiet mit einer guten Auslastung in den Betrieben in einer komfortablen Situation. Selten war dies unisono so gut. Allerdings wird diese durch die steigende Inflation und Rezessionsängste getrübt. Da ich ein Optimist bin, denke ich aber, dass wir nicht in Panik verfallen sollten. Dennoch müssen wir uns mit den steigenden Materialpreisen und der sinkenden Verfügbarkeit von Materialien beschäftigen. Beim baldigen Zusammenkommen der 25 grössten Unternehmen des VSSM sowie dem Verbandspartner-Treffen werden wir diese Themen ebenfalls diskutieren. 

FURRER: Eine grosse Herausforderung ist der Fachkräftemangel, der durch die hohe Auslastung in den Betrieben verschärft wird. Im ersten Halbjahr ist deswegen ein Neuauftritt in der Nachwuchsgewinnung geplant. Zudem wird die Revision der Grundbildung angegangen, damit die Schreinereibetriebe eine zeitgemässe und attraktive Ausbildung anbieten können. 

ITEN: Mit Nachwuchs meinen wir zudem nicht nur Jugendliche und junge Erwach­sene, sondern möchten vermehrt auch ­Maturanden und Quereinsteiger ansprechen. Der Fachkräftemangel beschäftigt aber alle Branchen und ist vor allem im Kaderbereich stark spürbar. 

Es wird immer häufiger berichtet, dass die Generation Z – also die jungen Menschen, die zwischen 1995 und 2010 geboren wurden – verstärkt auf ihre Work-Life-Balance achten und nicht mehr nur auf die Karriere setzen. Hat der VSSM diese Entwicklung auf dem Schirm? 

FURRER: Der Verband startet dieses Jahr ein Vorhaben zur Vereinbarkeit von Beruf und Familie mit der darauf spezialisierten Fachstelle sowie der Unterstützung des Bundes. Zwölf Betriebe nehmen daran teil. Ich bin gespannt, wie das Projekt läuft, und erhoffe mir wichtige Erkenntnisse, die wir für die ganze Schreinerbranche nutzen können. Die Bedürfnisse der jungen Berufs­leute nehmen wir auch in der Revision der höheren Berufsbildung auf. Auf welche Weiterbildungsmodelle lassen sie sich überhaupt noch ein? Welchen Aufwand wollen sie noch auf sich nehmen? Das ist sehr wichtig, damit unsere Weiterbildungsmöglichkeiten attraktiv bleiben. 

ITEN: Ja, das Engagement der Jungen hat sich verändert. Für viele steht das Streben nach einer Karriere nicht mehr an erster Stelle. Sie möchten zwar einen gut bezahlten Job, aber nicht mehr Vollzeit arbeiten. Das betrifft nicht nur Eltern, sondern alle jungen Erwachsenen. Vielen reicht es, noch 80 oder 90 Prozent tätig zu sein. Dieser Herausforderung dürfen wir uns nicht verwehren. In meinem Betrieb habe ich immer wieder Anfragen nach Teilzeitarbeit. Das ist mittlerweile normal und muss ermöglicht werden. Wenn nicht, besteht das Risiko, diese Mitarbeitenden zu verlieren. In un­serer Branche müssen wir diese Flexibilität erreichen, auch wenn das bezüglich Teambildung, speziell auf dem Bau, nicht immer einfach ist. Zudem sind Teilzeitstellen auch eine grosse Chance, Schreinerinnen in der Branche zu halten. Viele verlassen diese heute leider. 

Der VSSM ist nichts ohne seine Mitglieder, deren Zahl in den letzten Jahren stetig abgenommen hat. Was tut man gegen einen weiteren Schwund? 

ITEN: Es stimmt, dass wir immer weniger Mitgliedsbetriebe haben. Dies ist ein Phänomen, das fast alle Verbände betrifft. Man muss aber beachten, dass die Grösse un­serer Mitglieder tendenziell wächst. Das heisst, dass es zu mehr Zusammenschlüssen kommt oder Mitarbeitende von Firmen übernommen werden, die sich auflösen. Dem VSSM sind zwar weniger Betriebe angeschlossen, die Zahl der Angestellten hat allerdings nicht abgenommen. 

FURRER: Dieser Trend bestätigt sich in der jährlichen Mitarbeiterstatistik. Die Betriebe werden immer grösser und spezialisieren sich stärker. Allerdings müssen wir schon ein Auge darauf haben und die Mitgliedergewinnung in den Sektionen, die dafür primär zuständig sind, unterstützen. Die Aufgabe des Zentralsitzes lautet, Grundlagen und Hilfsmittel weiterzugeben. 

Schauen wir auf 2022 zurück, das ereignisreich war. Was waren Ihre Höhepunkte? 

ITEN: Bis auf die World Skills der Schreiner in Basel wussten wir Anfang Jahr, was alles ansteht. Zum Beispiel die Swiss Skills oder die Messe Holz. Ich finde, wir haben richtig entschieden, uns an der Berufs-WM zu beteiligen. Kostenmässig wussten wir nicht genau, auf was wir uns einlassen, da die Zahlen lange Zeit nicht klar waren. Es war ein toller Anlass, der durch die super Arbeit unseres Teams ermöglicht wurde. Ich möchte auch die Fachanlässe des Bereichs Technik und Betriebswirtschaft erwähnen, die viele Zuhörer anlockten, sowie die Delegiertenversammlung in Rapperswil. Es war wichtig und schön, diese nach zwei Jahren wieder in Präsenz durchzuführen. Man hat es den Teilnehmenden angemerkt, dass sie sich freuten, wieder zusammenzukommen. 

FURRER: Ich erinnere mich sehr gerne an die wertschätzende Stimmung und gute ­Zusammenarbeit in den verschiedenen Gremien wie die Delegiertenversammlung oder die Präsidentenkonferenz. Wir haben ein gemeinsames Ziel, was ich wichtig finde. Die Allgemeinverbindlichkeitserklärung des GAV war dann noch das Weihnachts­geschenk. 

Zurück zu den World Skills: Es gab ­Gerüchte, dass es Mitglieder gab, die über die Durchführung durch den VSSM alles andere als erfreut waren. 

ITEN: Also bei mir oder dem restlichen Zentralvorstand hat sich niemand negativ geäussert. Natürlich gibt es bei jeder Entscheidung jeweils Gegner, vor allem bezüglich der Kosten. Dem sind wir uns als Verbandsleitung bewusst, nehmen das ernst und müssen damit umgehen. 

FURRER: Spätestens ab dem Zeitpunkt, als die Rahmenbedingungen des Anlasses klar waren, hörte ich nur noch Positives. Weil man nicht genau wusste, was auf einen zukommt, kann es zu Unsicherheiten gekommen sein. 

Stimmt es, dass die World Skills mit einem Defizit abschliessen? 

ITEN: Wir haben von Beginn weg angenommen, dass die Durchführung kaum kostendeckend möglich sein wird. Die Rechnung wird sicher deutlich unter der Defizitgarantie von 200 000 Franken bleiben. Diese ­Investition hat sich meiner Meinung nach definitiv gelohnt, und sie muss es dem Verband auch wert sein. Denn die WM war eine gute Werbung für unseren Beruf und für die Zukunft. 

FURRER: Die Schlussabrechnung steht noch nicht, da aus dem Material-Abverkauf hoffentlich noch einige Franken hinzukommen werden. 

Haben Sie noch ein Schlusswort? 

FURRER: Mir ist es wichtig, dass sich der VSSM noch stärker als das Kompetenzzentrum der Branche positioniert. Wo sonst hat es so viele Kompetenzen an einem Ort gebündelt? Unsere über 50 Mitarbeitenden weisen Stärken und Fähigkeiten in allen möglichen Bereichen aus. Das möchten wir noch weiter in die Basis raustragen. Zum Kompetenzzentrum gehört natürlich auch die Höhere Fachschule Bürgenstock. 

ITEN: Genau. Dem VSSM ist die HF Bürgenstock wichtig und baut auf seine eigene Schule. Diese möchten wir weiter stärken.

Zu den Personen

Thomas Iten (57) gehört dem Zentralvorstand des Verbands Schweizerischer Schreinermeister (VSSM) seit 2009 an und wurde 2014 Vizepräsident. 2016 hat er das Präsidium von Ruedi Lustenberger übernommen. Der Schreinermeister führt die Sigrist Rafz Holz + Bau AG, ist Mitinhaber und VR-Präsident. Daniel Furrer (57) hat per November 2022 die Direktion des VSSM übernommen. Er arbeitet seit 20 Jahren für den Verband, leitete die Abteilung Technik und Betriebswirtschaft und war stv. Direktor. 

Nicole D’Orazio  

www.vssm.ch 

Veröffentlichung: 12. Januar 2023