Der unsichtbare Tod


Vögel erkennen Glas nicht als Hindernis. Markierungen machen die Scheiben für sie sichtbar, hier eine Variante der Seen AG. Bild: Seen AG
Vögel erkennen Glas nicht als Hindernis. Markierungen machen die Scheiben für sie sichtbar, hier eine Variante der Seen AG. Bild: Seen AG
Vogelschutz. Die vielen und grossen Glasflächen in der modernen Architektur haben auch ihre Schattenseiten: Für Vögel werden sie zur tödlichen Falle. Der Markt bietet Lösungen gegen das Massensterben. Doch es scheint, als ob diese noch eher ein Nischendasein fristen.
Zusammenstösse mit Glasscheiben sind eine der häufigsten Todesursachen bei Vögeln. «In der Schweiz gehen wir pro Jahr von mehreren Millionen Kollisionsopfern aus», sagt Martina Schybli von der Vogelwarte Sempach. Die Expertinnen und Experten der Luzerner Forschungsstelle berufen sich auf Schätzungen, denn es werden längst nicht alle verunfallten Vögel gefunden, geschweige denn gemeldet. Manche Tiere können nach dem Zusammenprall mit einem Hindernis noch wegfliegen oder weghüpfen, viele davon verenden dann aber langsam und qualvoll in ihrem Versteck. Oder aber sie werden von Katzen, Füchsen oder Mardern gefressen.
Die Gründe des Massensterbens sind dagegen bestens bekannt. Der Wichtigste: Vögel können Glas nicht als Hindernis erkennen.Die Vogelwarte beschreibt drei Gefahrenquellen, die Glasflächen für Vögel besonders heimtückisch machen:
So erwünscht die Glaseigenschaften Durchsicht, Reflexion und Lichtdurchlässigkeit in der modernen Architektur auch sind, so verpönt sind diese bei den Artenschützern. «Viele Gebäude könnten vogelfreundlicher gebaut werden. Wenn immer möglich plant man transparente Glasflächen nur dort ein, wo es unbedingt sein muss», sagt Schybli. Wenn sich der Einsatz von transparenten Glasflächen hingegen nicht vermeiden lasse, solle man Produkte bevorzugen, die für die Vögel ein möglichst geringes Kollisionsrisiko bergen. Eine Möglichkeit sind Gläser mit Vogelschutzmarkierungen. Durch diese werden Scheiben für Vögel als Hindernis erkennbar – wenn sie richtig ausgeführt sind. «Man sollte sich erkundigen, ob sie bezüglich Wirksamkeit getestet wurden.»
Wichtig ist, dass die Markierungen nicht zu weit voneinander entfernt sind. Es gilt die Handflächenregel: Ist die Lücke zwischen den Markierungen grösser als eine Handfläche (grösser als 100 × 100 mm), stellen sie für die Vögel kein Hindernis dar. Die Tiere erkennen den Zwischenraum und wollen ihn durchfliegen – wie sie auch in Baumkronen und Gebüschen Räume zwischen Ästen und Blättern rege nutzen. Die Form der Markierungen ist unbedeutend (Vögel erkennen das «Sujet» nicht), vielmehr kommt es auf den Kontrast zum Hintergrund an. Damit ist auch schon die Frage beantwortet, ob die schwarzen Greifvogel-Silhouetten, die landauf, landab zu sehen sind, etwas nützen: Nur, wenn sie alle 100 mm angebracht werden. Das sind bei einer grossen Scheibe schnell 40 bis 50 Vögel. Ob das der Weisheit letzter Schluss ist? Die Vogelwarte Sempach rät von der Verwendung der schwarzen Vögel jedenfalls ab.
Der Markt ist nicht übersät mit geeigneten Produkten. Doch hat sich in den vergangenen Jahren einiges getan. Inzwischen findet man eine gutes Angebot an Vogelschutzgläsern (siehe auch Auswahl auf Seite 10). Taufrisch ist ein Produkt aus der Schweiz. Die Seen AG in Waldstatt AR, spezialisiert auf Design von Glas, hat in der Produktlinie Seen Elements ein Punkteraster entwickelt, das auf der Laminierfolie zwischen den Scheiben angebracht wird. Über Eastman, einen amerikanischen Folienhersteller mit Ablegern in Europa, gelangt das Produkt zu den Glasverarbeitern (auch in der Schweiz), die es zwischen den Verbundgläsern anbringen. Die Glasoberfläche bleibt unangetastet, und die Markierungen sind zwischen den Scheiben geschützt.
Eine weitere Besonderheit von Seen Elements ist die minimale Flächenbeanspruchung: Nicht einmal ein Prozent der Fensterfläche wird durch die Punkte abgedeckt. Möglich macht dies das feine Raster: Im Abstand von 90 mm sind kleine Punkte von 9 mm Durchmesser angebracht. Diese sind gegen aussen kontrastreich, reflektierend und für Vögel gut sichtbar, gegen innen aber sehr neutral gefärbt. Beim Blick von innen nach aussen sind sie so kaum wahrnehmbar. Tests in einem Flugkanal haben ergeben, dass bei der stark reflektierenden Ausführung «Seen shiny» mehr als 90 % der Vögel den Scheiben ausweichen. Dieser Wert bringt dem Produkt das Prädikat «hochwirksam» ein. Auch die Vogelwarte spricht von «guten Erfahrungen», die man bisher mit «Seen shiny» gemacht habe.
Die Seen AG hat sich überdies etwas einfallen lassen für Problemsituationen bezüglich Vogelschlag, bei denen man nicht einfach alle Scheiben austauschen kann. Das Punkteraster gibt es auch zum Nachrüsten auf bestehenden Fenstern. Die Punkte werden dann auf der Aussenseite aufgeklebt. Ein Service, den zum Beispiel Schreinerinnen und Schreiner ihrer Kundschaft anbieten können. Sie können sich dabei auf eine detaillierte Montageanleitung stützen. Auch die Vogelwarte selbst führt in ihrem Online-Shop eine Auswahl an Schutzmarkierungen zum nachträglichen Aufkleben.
Auch wenn es Lösungen gibt, welche die Gefahren für Vögel reduzieren, die Haltung der Vogelwarte Sempach ist grundsätzlich klar: Es braucht nicht für alle Anwendungen an und neben Gebäuden spiegelndes, transparentes, vertikal angebrachtes Glas. Die Forschenden machen daher da, wo es möglich ist, Alternativen schmackhaft wie Milchglas, Glasbausteine oder Gussglas, die optischen Widerstand bieten. Oder sie verweisen auf geripptes, mattiertes, sandgestrahltes oder eingefärbtes Glas. Wobei sie betonen, dass handelsübliches, getöntes Glas ungeeignet ist, weil es normalerweise die Umgebung stark reflektiere. Als Minimalmassnahme, wenn kein alternatives Glas verwendet werden kann, empfehlen sie eines mit einem Reflexionsgrad (aussen) von maximal 15 %. «Absoluten Schutz bieten solche Gläser nicht. Sie sollen dort Anwendung finden, wo andere Schutzmassnahmen nicht möglich sind», sagt Schybli. Stark geneigtes Glas oder Oblichter schneiden bezüglich Vogelschlag immer deutlich besser ab als vertikale Verglasungen.
Und noch etwas: Wenn schon Schreinerinnen oder Schreiner mit dem Beheben eines Vogelschlag-Problems beauftragt sind, sollten sie ihre Fertigkeiten natürlich auch voll ausschöpfen. Diesbezüglich appelliert die Vogelwarte an die Kreativität der Handwerker. «Sie können zum Beispiel Holzlamellen oder Holzgeflechte vor den Scheiben anbringen, die gleichermassen als Sonnen- und Vogelschutz dienen.»
www.vogelglas.vogelwarte.chwww.seen-group.comVerschiedene Glasanbieter führen in ihrem Sortiment vogelfreundliche Produkte. Und immer wieder ist zu hören, es sei ein Wachstumsmarkt, aber auf sehr tiefem Niveau. Vogelschutz ist in der Baubranche noch nicht in aller Munde. Umso wichtiger ist, dass man weiss, worauf man schauen muss. Vertrauenwürdige Produkte verfügen über einen Nachweis für ihre Wirksamkeit. Ein solcher kann zum Beispiel durch einen Test im Flugkanal erbracht werden: Vögel werden auf eine Scheibe losgelassen, kurz davor aber sanft abgefangen. Die Tiere kommen dabei nicht zu Schaden. Nach dem Versuch können die Forscher aufgrund der Flugbahn auswerten, wie viele Tiere das Hindernis übersehen hätten.
Die Glas-Trösch-Gruppe, international tätiges Unternehmen mit Sitz in Buochs NW, hat vor einigen Jahren zusammen mit der Vogelwarte Sempach das Produkt «Silverstar Birdprotect» entwickelt. Dazu wird ein Motiv namens «Ortho» (Bild) mittels einer matten Keramikfarbe auf das Glas gedruckt. Die Handflächenregel wird eingehalten. Glas Trösch bietet auch individualisierte Gestaltungen an, sofern diese die Vorgaben des Vogelschutzes erfüllen. Möglich ist etwa das Aufbringen von Firmenlogos.
Der Druck erfolgt normalerweise auf der Rückseite der äusseren Scheibe des Isolierglases. Auch der Aufdruck auf der Aussenseite ist möglich, bedarf allerdings einer robusteren, teureren Farbmischung.
Auch das österreichische Unternehmen Glas Marte, in Bregenz am Bodensee zu Hause, legt viel Wert auf den Vogelschutz und pflegt nach eigenen Angaben «gute Kontakte» zur Vogelwarte Sempach. Es hat mehrere Produkte im Angebot, die auf unterschiedlichen Verfahren beruhen. Einerseits schafft es bei «GM Printmart» Markierungen mittels Siebdruckverfahren. Auch diese sind durch eigene Dekore und Motive individualisierbar. Bei «GM Light Chrome» (dezent) und «GM Chrome» (kräftig) arbeitet Glas Marte mit partiellen Verchromungen. Man schafft in einem Mehrschichtverfahren verspiegelte Bereiche. Die reflektierenden Motive warnen die Vögel vor dem Hindernis – und tragen zum Sonnenschutz bei. Auch hier sind individuelle Formen möglich. Das erste Bild zeigt «GM Light Chrome» mit dem Schweizerkreuz-Motiv am Neubau der Kaserne Auenfeld in Frauenfeld TG. Die Markierungen sind schwach spiegelnd, aber gut erkennbar. Stark reflektierend sind die Wellenlinien an der Bergstation am Arlberg (zweites Bild). Es kam «GM Chrome» zum Einsatz, weil schon das Glas selber einen hohen Reflexionsgrad hat.
Diese Übersicht ist nicht vollständig. Es gibt noch weitere Unternehmen, die Vogelschutzprodukte anbieten, wie zum Beispiel Arnold Glas in Deutschland mit ihrer «Ornilux»-Serie. Und immer wieder kommt auch Neues auf den Markt. Tipps sind bei der Vogelwarte Sempach erhältlich.
www.glastroesch.comwww.glasmarte.atwww.arnold-glas.deVeröffentlichung: 17. März 2022 / Ausgabe 11/2022
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