Der Ruf der Pianos


Zweckentfremdet: Andreas Brencke (54) schreinert gerne aus Pianos neue Objekte, so wie dieses Sofa. Bild: Caroline Schneider
Zweckentfremdet: Andreas Brencke (54) schreinert gerne aus Pianos neue Objekte, so wie dieses Sofa. Bild: Caroline Schneider
Andreas Brencke und das Klavier, das ist eine lebenslange Verbindung. In Brenckes Biografie taucht das Klavier an bestimmten Weggabelungen immer wieder auf. Schon in der elterlichen Wohnung stand eines. Sein Vater lernte ihn das Boogie-Woogie-Spielen. Als 26-Jähriger kaufte sich der frischgebackene Vater anstelle eines Sofas zum Erstaunen seiner Frau ein Klavier, später tauschte er es gegen einen symbolträchtigen Blüthner aus dem Jahre 1903. «Der schwarze Schellackflügel trägt das Geburtsjahr meines Grossvaters.» Dieser Flügel hat ihn seither nicht mehr in Ruhe gelassen. 2009 zog Brencke aus Deutschland in die Schweiz und kaufte sich ein altes Klavier aus dem Brockenhaus. Ihn reizt es, Gegenstände oder Möbel ihres ursprünglichen Zweckes zu entfremden und neue Objekte zu schreinern. Das Klavier aus dem Brockenhaus hat er vollkommen entkernt und daraus ein Sofa geschreinert. Ein Niendorf-Flügel von 1954 steht in seiner Werkstatt in Degersheim SG. Brencke schwebt vor, daraus eine Kochinsel zu machen. Vor zwei Jahren fand der 54-Jährige den Weg zu Musik Hug in Bülach ZH. In einem Teilzeitpensum kümmert er sich dort um die Oberflächenbehandlung der Instrumente. «Das Knowhow habe ich mir ‹on the job› angeeignet.»
Seine Arbeit besteht darin, den Polyesterlack zuerst mit rotierenden Baumwolltüchern zu bearbeiten, wobei sich der Lack erwärmt und die Kratzer verschwinden. Anschliessend werden die Flächen auf Hochglanz poliert. Als gelernter Zimmermann sei er eigentlich gröbere Arbeit gewohnt. Diese Oberflächenarbeit erfordere viel Geduld. Für ihn als umtriebigen Menschen sei diese Arbeit fast eine heilsame Therapie.
«Wenn ich ein Klavier bearbeite, komme ich innerlich zur Ruhe.» Und dann könne er sogar die Geschichten empfangen, die ihm das Instrument erzähle. In der Klavierwerkstatt in Bülach stehen über 20 hochwertige Flügel. Manche haben einen Wert von bis zu 140 000 Franken. Nach Feierabend setzt sich Brencke manchmal an einen Flügel und lauscht dessen Klängen. Einen 110 Jahre alten, für den Schrotthaufen bestimmten Flügel restauriert er dort in Eigenregie. «Ich schaffe es nicht, ein Klavier zu entsorgen, das einmal mit so viel handwerklicher Liebe hergestellt worden ist», sagt er. Der Blüthner trägt die Nummer 76723. «Diese Zahlen enthalten exakt mein Geburtsdatum.» Für den Zahlenmensch ein Wink: «Ich werde diesen Flügel komplett reanimieren.» Entkernt hat er ihn bereits. Als Nächstes flickt er den Resonanzboden, erneuert den Stimmstock, besaitet ihn neu und frischt die Oberfläche auf. Nebst seiner Teilzeitanstellung führt Brencke sein eigenes Geschäft in Degersheim. Besonders gerne haucht er alten Holz-Objekten neues Leben ein. Er renoviert Riegel-Böden, in die Jahre gekommene Treppen oder baufällige Scheunen.
«Wenn die Kunden etwas Individuelles, Massgeschneidertes möchten, konstruiere ich auch mal einen kleinen Hühnerstall mit automatischer Klappe.» Zum Schluss kommt Brencke wieder auf den Flügel zu sprechen, der immer noch in seiner Heimatstadt in Münster steht – den Blüthner aus dem Geburtsjahr seines Grossvaters. «Dieses Instrument hat mich zu einem Herzprojekt inspiriert. «Ich würde gern die fast 120-jährige Lebensgeschichte aufschreiben, die der Flügel mir zugeflüstert hat. Der Plot steht: Es geht um zwei Menschen, zwei Seelen, die sich aufgrund ihres unterschiedlichen gesellschaftlichen Status anfangs nicht verlieben dürfen. Und zwischen ihnen steht als verbindendes Element der Blüthner.»
«Ich schaffe es nicht, ein Klavier zu vernichten, das mit so viel handwerklicher Liebe hergestellt worden ist.»
Veröffentlichung: 26. August 2021 / Ausgabe 34/2021
Leute. In den Bildern von Stephan Rüeger scheint alles in Bewegung zu sein. Organische Formen winden sich von unten nach oben, erzeugen Wirbel, treiben aufeinander zu oder weisen sich gegenseitig ab.
mehrLeute. An einem Arbeitstisch fügt ein Mitarbeiter Schlauchklemmen mit Kabelbindern zusammen. «Sälü Markus», sagt er zu Markus Bühler und schüttelt ihm die Hand. Beim Rundgang durch die Produktion 1 in der Stiftung Altried in Dübendorf ZH halten manche Beschäftigte einen kleinen Schwatz mit ihm.
mehrPaidPost. Anlässlich des 150-jährigen Firmenjubiläums bietet die Rudolf Geiser AG Einblick hinter die Kulissen und stellt ein paar der 120 Mitarbeitenden vor. Diese Woche ist dies Thomas Dellenbach, Chauffeur der Geiser Camion-Flotte.
mehr