Ausland oder Automatisierung

Die Ruchti Aerni AG betreibt bereits seit 2011 in der mazedonischen Hauptstadt Skopje ein Werk. Bild: Ruchti Aerni AG

Fensterproduktion.  Hoher Druck: Mit dem Preisverfall für Fenster in den letzten drei Jahren hat sich die Situation für die Schweizer Fensterbauer verschärft. Um Kosten zu sparen, haben Fensterbauer ihr Werk ins Ausland verlagert, andere investieren erst recht in der Schweiz.

Tief sind die Preise für Fenster und teuer die Produktionskosten in der Schweiz. Nachdem der Fensterpreis in den letzten drei Jahren bis um 20 Prozent gesunken ist, stehen die Fensterbauer unter Druck. Marktgerecht zu produzieren, ist für viele schwierig geworden. Die Unternehmen streben auf unterschiedliche Weise eine Reduktion der Kosten an, um konkurrenzfähig zu bleiben. Die einen machen das über eine stärkere Automatisierung oder indem sie arbeitsintensive Produktionsprozesse ins Ausland verlagern, wo die Löhne tief sind. 8,90 Euro kostet in der Slowakei eine Arbeitsstunde im verarbeitenden Gewerbe, 51,29 Euro sind es in der Schweiz.

Auslagerung nicht immer erfolgreich

«Wer sagt, man könne es sich ja einfach machen und ins Ausland gehen, der täuscht sich», sagt Daniel Ruchti, Geschäftsleiter und Inhaber der Firma Ruchti Aerni AG mit Sitz in Thun BE. Denn über die Hälfte aller Auslagerungen würden wieder rückgängig gemacht und von denen, die blieben, seien wiederum nur 50 Prozent effektiv erfolgreich. Für kleinere KMU stellt sich die Frage einer Verlagerung ins Ausland deshalb kaum. Zu aufwendig sind die Organisation und die Logistik, zu riskant das Unterfangen.

Die Ruchti Aerni AG betreibt bereits seit 2011 eine Fensterproduktion in der mazedonischen Hauptstadt Skopje. Im Jahr 2017, nachdem das Familienunternehmen Ruchti die Firma Aerni Fenster AG übernommen hatte, wurde auch deren Kunststoffproduktion von Arisdorf BL nach Skopje ausgelagert. Heute werden dort mit rund 80 Mitarbeitenden jährlich 60 000 Fenster produziert: vor allem einfache Kunststoff- und Holz-Metall-Fenster.

Skopje, 1600 Kilometer und zwei Flugstunden von Zürich entfernt, liegt zwar geografisch nah, doch das Lohnniveau befindet sich weit unter dem schweizerischen. 500 Euro monatlich inklusive aller Sozialabgaben beträgt ein durchschnittlicher Lohn gemäss einem Kenner, der nicht namentlich genannt werden möchte. Er hat bereits mehrere Auslagerungen begleitet, unter anderem auch nach Mazedonien. Hinzu kämen tiefe Steuern, 10 Prozent auf den Unternehmensgewinn, und eine hohe Arbeitslosigkeit. Anders als in den EU-Ländern hätten die Firmen deshalb nicht mit Personalknappheit und Fluktuation zu kämpfen, wie es etwa in der Slowakei der Fall ist.

Kulturelle Unterschiede

Laut Ruchti ist es die grösste Herausforderung, im mazedonischen Werk die Produktivität hochzuhalten. Der eigenen Arbeitszeit werde wenig Wert beigemessen, und eine effiziente Arbeitsweise müsse zuerst vermittelt werden. Dabei gilt es, kulturelle Unterschiede zu beachten. «Oberflächliche Aussagen gibt es viele», sagt Ruchti. Differenziert diese Unterschiede zu berücksichtigen und Methoden zu finden, um kulturelle Barrieren zu überwinden, sei anspruchsvoll, aber entscheidend, um ein Werk erfolgreich zu betreiben. Dazu gehöre es auch, persönliche Beziehungen zu unterhalten, weshalb der Firmeninhaber von Beginn an regelmässig vor Ort ist. Das Problem mit der Produktivität hat Ruchti pragmatisch gelöst: Jeder Arbeitsschritt ist bis ins Detail vorgegeben, was der heute hochautomatisierte Prozess einer Fensterfertigung erst möglich macht.

«Austauschbar und wenig emotional»

Die technologische Entwicklung der letzten 20 Jahre hat die Fensterfertigung grundlegend verändert: Ab CAD-Zeichnung wird das Fenster im Bearbeitungszentrum nur noch mit geringem manuellem Zutun produziert. Wo und wer diese Arbeit macht, ist dadurch zweitrangig geworden. Die Maschinen, die Werkzeuge, das Material und das Bearbeitungskonzept entscheiden über die Qualität. «Ein Fenster muss Normen entsprechen. Es ist weder so komplex noch so hochwertig, dass es nicht auch im Ausland produziert werden könnte», sagt Ruchti. Dort werde genauso gute Qualität erreicht wie in der Schweiz.

Mit der Normierung des Fensters ist auch die Vergleichbarkeit gestiegen. Über das Produkt könne sich der Fensterbauer kaum noch abheben, sagt Ruchti. Denn nur wenige Bauherren – und kaum ein Generalunternehmen – seien bereit, einen höheren Preis für einen besonders schmalen Rahmen zu zahlen. Christoph Rellstab, Leiter Höhere Fachschule Holz Biel, teilt diese Einschätzung: «Die Herausforderung der Fensterproduzenten ist, dass sie ein im Prinzip austauschbares, wenig emotionales Produkt herstellen. Damit wird der Preis ein wichtiges Entscheidungskriterium.» Noch ausgeprägter ist das im Kunststoffbereich, weil die Kunststoffprofile zumeist gar nicht in der Schweiz hergestellt werden und zur Handelsware geworden sind.

Ruchti will deshalb mit gutem Service seine Kunden überzeugen. An den vier heimischen Standorten baut der Fensterbauer die Kundendienstleistungen weiter aus. Hier investiert Ruchti auch in die Fertigung der komplexeren Produkte wie Brandschutztüren, Tore und Aluminiumfenster. Damit fallen 70 Prozent der gesamten Wertschöpfung in der Schweiz an. Das berechtigt den Fensterbauer dazu, das Swiss Label weiterhin zu verwenden – auch zum Unmut von Kollegen aus der Branche. Für Ruchti zahlt sich die Verlagerung nach Skopje aus. Dank der Differenzierung der verschiedenen Produktionsstandorte und der damit gewonnenen Flexibilität sei das Unternehmen für die Zukunft gut aufgestellt.

Marktführer verlagert nach Osteuropa

Die Wettbewerbsfähigkeit von Ego Kiefer in Altstätten SG hatte sich 2015 mit dem Entscheid der Nationalbank, den Euromindestkurs von 1.20 Franken aufzuheben, gegenüber ausländischen Fensterproduzenten deutlich verschlechtert. Im selben Jahr entschied der Verwaltungsrat des Mutterkonzerns Arbonia, die Fensterproduktionen aus Altstätten und Villeneuve VD in die Slowakei zu verlagern. Dort hatte Arbonia mit der Firma Slovaktual bereits Kunststoff-Fenster für den osteuropäischen Markt produziert. Für die Fertigung von anspruchsvolleren Produkten wie Holz- und Holz-Aluminium-Fenstern übernahm Arbonia 2015 das ostdeutsche Unternehmen Wertbau.

Verzögerungen beim Hochfahren

In Altstätten werden noch bis Ende Jahr mit rund 100 Mitarbeitenden Holz- und Holz-Aluminium-Fenster produziert, bis auch dort die Fertigung eingestellt wird. Das Werk in Villeneuve wurde bereits 2016 geschlossen. In der Schweiz bleiben Administration, Forschung und Entwicklung und ein Service-Shop für die Produktion der Sonderfertigungen und Expresslieferungen. Insgesamt 330 Mitarbeitende waren vom Stellenabbau betroffen. Aufgrund personeller Engpässe in allen Ländern Osteuropas verzögert sich das Hochfahren der Produktion an den neuen Standorten. Lieferschwierigkeiten und Qualitätsprobleme begleiteten die Produktionsverlagerungen. Darunter habe auch der Ruf von Ego Kiefer bei Schweizer Wiederverkäufern und Endkunden gelitten, erzählt ein Branchenkenner. 2017 schloss die Division Fenster von Arbonia mit einem ähnlichen Umsatz wie im Vorjahr und mit gestiegenem Jahresergebnis ab. Das Fensterunternehmen werde wieder Anteile im Heimmarkt gewinnen, prognostiziert der Branchenkenner.

Ego Kiefer spare an den neuen Produktionsstandorten deutlich bei Lohn- und Infrastrukturkosten. Und aufgrund der grossen Produktionsmenge profitiere das Unternehmen zusätzlich von besseren Einkaufskonditionen. Der Experte erwartet, dass sich in den nächsten zwei Jahren die anfänglichen Schwierigkeiten lösen werden und sich damit auch das Image von Ego Kiefer wieder verbessert. Für eine entsprechende Werbekampagne stünden dem Unternehmen die nötigen Mittel zur Verfügung. Mit den günstig im Ausland produzierten Fenstern von Ego Kiefer könnte sich der Preisdruck im Schweizer Markt also nochmals verschärfen.

Kostenfaktor Transport

Dass sich Auslagerungen zum Trend entwickeln, erwartet Josef Knill nicht, Co-Präsident des Schweizerischen Fachverbands Fenster- und Fassadenbranche (FFF). Zu viele wichtige Faktoren seien ungewiss: Der starke Euro oder steigende Transportkosten könnten die eingesparten Kosten von Lohn und Infrastruktur wieder schmälern.

An diesem Punkt widerspricht der Experte für Auslagerungen: Zu tief sei der Anteil der Transportkosten am Preis eines Fensters. Ein Lastwagen lade gut 250 Quadratmeter Fenster, die Fahrt aus der Slowakei in die Schweiz koste 1600 Euro, was sechs Euro auf den Quadratmeter ausmache. Auch wenn der Benzinpreis steigen würde, bliebe die Marge trotzdem hoch.

Automatisierung als Alternative

Eine Alternative zur Produktionsverlagerung ins Ausland bietet die automatisierte Fertigung. Je günstiger der Einsatz von Robotern und Software wird, desto mehr lohnt es sich, in der Schweiz zu produzieren. Für diese Strategie sprach sich Bernhard Merki, Geschäftsleiter der 4B AG in Hochdorf LU, an der letzten Generalversammlung des Fensterverbandes FFF aus. Das hohe Ausbildungsniveau der Mitarbeitenden und die Nähe zum Schweizer Kunden sind laut Merki wesentliche Vorteile. Um die Personalkosten zu reduzieren, setzt die 4B AG auf eine weitere Automatisierung und möglichst effiziente Prozesse. Die Personalkosten in der Produktion machen heute noch 11 Prozent des Umsatzes aus.

Interessant sei, dass sich die beiden grössten Fensterunternehmen, Ego Kiefer und 4B, für ganz unterschiedliche Strategien entschieden hätten, sagt Schulleiter Christoph Rellstab. «Wir werden alle als Zaungäste in den nächsten Jahren beobachten können, welche der beiden Firmen den ‹besseren› Entscheid getroffen hat.»

www.ruchti-aerni.chwww.ahb.bfh.chwww.egokiefer.chwww.arbonia.comwww.fff.chwww.4-b.ch

ho

Veröffentlichung: 17. Mai 2018 / Ausgabe 20/2018

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