Aus der Versenkung geholt

Senkt sich das Fenster ab, kommt ein völlig neues Raumgefühl auf. Bild: Air-Lux

Sonderfunktionen.  Eigentlich gibt es verschiedenste Möglichkeiten, ein Fenster zu öffnen. Über die Jahre haben die speziellen Öffnungsarten aber an Popularität verloren. Am richtigen Ort eingesetzt, kommen ihre Vorteile aber nach wie vor zum Tragen.

Dreh-Kippfenster sind in der Schweiz der Standard schlechthin. Vor einigen Jahrzehnten gab es bei den Öffnungsarten noch eine deutlich grössere Vielfalt. Diese ist inzwischen beinahe in Vergessenheit geraten oder sie konnte sich aufgrund fehlender technischer Eigenschaften nicht mehr halten. Dazu zählt zum Beispiel das Vertikal-schiebefenster, wie man es aus den Hollywood-Filmen kennt.

Sonderfunktionen haben ihren Platz

Andere Öffnungsarten sind in Spezialbereichen nicht mehr wegzudenken. So zum Beispiel die Schwingflügeltechnik, welche sich bei Dachfenstern grossmehrheitlich durchgesetzt hat. Im Fassadenbereich finden sich seit ein paar Jahren gelegentlich ebenfalls wieder Sonderfunktionen. So lautet die Definition des Schweizerischen Fachverbands Fenster- und Fassadenbranche (FFF) für alle Fenster, bei denen es sich nicht um Fest- verglasungen, Dreh-, Kipp- oder Drehkipp- varianten handelt.

Insbesondere bei grösseren Objekten setzen Architekten und Fensterbauer auf Senk-Klappfenster. Solche, sich leicht nach unten schiebende und dabei auf der unteren Kante nach aussen klappende Fenster sind in Grossbritannien, Nordamerika sowie Asien in zahlreichen Variationen stark verbreitet. Teilweise gelten sie sogar als Standard im Wohnungsbau.

In allen Anwendungen überzeugen sie durch ihre effektive, platzsparende Raumnutzung, ihre Winddichtigkeit sowie die problem- lose Möglichkeit zum schnellen Lüften. Insbesondere beim fassadenbündigen Einbau in Gebäuden ohne Dachüberstand machen solche Fenster eine gute Figur. Zudem können sie auch bei Regen eher geöffnet bleiben, ohne dass dieser ins Gebäudeinnere gelangt. Ein Nachteil von Senkklappfenster ist allerdings, dass man die aussen liegende Scheibe auch nur von aussen reinigen kann.

Drehbare Elemente

Dieses Problem gibt es beim Schwingflügel-Fenster nicht. Denn die Beschläge lassen in der Regel ein Drehen des Flügels von fast 180 Grad zu. Zudem können mit ihnen natürliche Lüftungskonzepte gut umgesetzt werden. Aufgrund des mittleren Drehpunktes fliesst die verbrauchte Luft bei Schwingfenstern oben ab, während unten zeitgleich frische Luft nachströmt. Trotz breiter Formate stehen die Flügel dabei nicht sehr stark im Raum und beanspruchen auch keinen Platz im Fensterbankbereich. Zusätzlich lassen sich die Fenster mit einem Begrenzer im gewünschten Öffnungswinkel positionieren und erlauben eine genau dosierte Raumlüftung. Damit lässt sich zusätz- lich das Eindringen von Schlagregen weitestgehend verhindern.

Ein weiterer Vorteil von Schwing- und Klappfenstern ist, dass sich so auch relativ grosse Fensterflügel schnell und einfach bewegen lassen. Allerdings ist bei beiden Systemen die Beschattung mit Jalousien oder Storen ein Problem. Bei Schwingfenstern stellt sich dieselbe Problematik ebenfalls raumseitig, beispielsweise wenn Vorhänge angebracht werden sollen.

Abstellen statt kippen

Verhältnismässig neu auf dem Markt sind sogenannte Parallelabstellsysteme. Sie kommen zwar im Fassadenbau schon etwas länger zum Einsatz, zum Beispiel bei Hochhäusern. Dort werden die meist raumhohen Elemente nach aussen abgestellt. Der Beschlaghersteller Winkhaus hat diese Funktion nun auf gewöhnliche Fenster heruntergebrochen.

Der Beschlag heisst Activ Pilot und ist in verschiedenen Varianten erhältlich: Drehkipp mit Parallelabstellung, Drehöffnung mit Parallelabstellung und motorisch gesteuert. Anders als bei den Fassadenelementen wird das Fenster mit diesem Beschlag aber nach innen geöffnet. Mit der Parallelabstellung, auch Spaltlüftung genannt, lässt sich das Fenster rundherum um etwa 6 Millimeter öffnen.

Gegenüber der gewöhnlichen Kippfunktion verspricht der Hersteller einen besseren Schlagregen- und Schallschutz sowie ein effizienteres Lüften. Letzteres ist auf den gleichen Umstand wie bei den Schwingflügelfenstern zurückzuführen – im unteren Bereich strömt frische Luft hinein, oben zieht die verbrauchte Luft ab. Ausserdem gelangen durch den schmalen Spalt keine Tiere in den Innenraum, selbst kleine Insekten sollen kaum noch den Weg hineinfinden.

Öffnen mit geringem Kraftaufwand

Zudem soll mit diesem Beschlag auch bei parallel abgestelltem Fenster eine Einbruch- sicherheit bis RC2 möglich sein. Das System empfiehlt sich deshalb insbesondere für Fenster, die oft zum Lüften geöffnet sind, wie zum Beispiel im Badezimmer, in der Küche oder in Kellergeschossen. Anders als bei klassischen Kippfenstern kann der Griff bei hoch liegenden Fenstern auch problemlos im unteren Bereich des Flügels positioniert werden, ohne dass der Benutzer mehr Kraft zum Öffnen aufwenden muss. Das macht solche Lösungen gerade für hoch liegende Fenster oder im barrierefreien Bauen interessant.

Ein Nachteil der zusätzlichen Parallelabstellfunktion kann allerdings sein, dass die Bediener sich dies nicht gewohnt sind und es zu Missverständnissen kommt. Wenn also die Kippfunktion nicht zwingend notwendig ist, dürfte es wohl sinnvoll sein, wenn man nur auf die Version mit Drehöffnung und Parallelabstellung setzt.

Das Fenster versenken

Eine Sonderfunktion in eine neue Dimension gebracht hat die Air-Lux Technik AG aus dem st. gallischen Engelburg. Das Unternehmen ist im Metall- sowie im Fassadenbau tätig und gehört somit nicht zu den «Hölzigen». Mit dem Senkfenster hat die Firma das vertikale Schiebefenster auf eine andere Art interpretiert. Zum Öffnen wird das Element komplett im Boden versenkt. Möglich macht das ein stabiles Tragwerk, das mit einem Gegengewicht verbunden ist. Durch das Gegengewicht ist das Senkfenster perfekt ausbalanciert und lässt sich durch den elektrischen Antrieb geräuschlos auf- und abbewegen. Das Fenster kann somit in jeder beliebigen Stellung gestoppt werden. Im Falle eines Stromunterbruchs lässt sich das Senkfenster manuell vom Technikraum aus schliessen.

Im Technikraum sind Steuerung, Motor, An- triebswelle sowie das Gegengewicht untergebracht. Er muss deshalb für Unterhalts- arbeiten zugänglich sein, die entsprechenden Vorgaben macht der Hersteller. Allfälliges Regenwasser wird mittels einer verdeckt liegenden Rinne aufgenommen und durch eine Entwässerungsöffnung abgeführt. Gemäss Angaben des Unternehmens sind mit dieser Konstruktion Fenster mit einer maximalen Grösse von 8000 × 3100 Millimetern und einer Glasdicke von bis zu 60 Millimetern realisierbar. Bezüglich Gewicht gibt es offenbar keine Einschränkungen.

Dichtung ohne Abnutzung

Ein wesentlicher Bestandteil des ganzen Systems ist ausserdem die umlaufende, aufblasbare Ringdichtung. Sie sorgt für eine hohe Dichtigkeit gegenüber Schlagregen, Wind und Schall. Im entlüfteten Zustand verursacht die Dichtung keinerlei Reibungswiderstand, dadurch entsteht auch keine Abnutzung.

Eine Verwendung des Systems für Holz-Metall-Fenster ist gemäss Angaben des Unternehmens nicht geplant. Dies insbesondere, weil sich die Rahmenteile im Boden- und Deckenbereich befinden, was wegen der Feuchtigkeit relativ heikel ist. Dafür gibt es aber mit dem «Connect-System» eine Möglichkeit, raumseitig Holzverkleidungen anzubringen.

Auch wenn Fenster mit Sonderfunktionen nicht mehr so populär sind wie früher, in manchen Bereichen können sich gezielte Anwendungen durchaus lohnen. Spezielle Entwicklungen erlauben es ausserdem, bestimmte Nischen zu besetzen.

www.air-lux.chwww.schueco.comwww.winkhaus.comwww.roto-frank.ch

ph

Veröffentlichung: 11. Juli 2019 / Ausgabe 28-29/2019

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