24 Hände für Gârbova

Arbeitseinsatz.  Dennis Gerber und Romina Wüthrich haben mit weiteren Schreinerlernenden des Bildungszentrums Interlaken BZI ihre Herbstferien für einen guten Zweck geopfert. Sie halfen den Einwohnern des rumänischen Dorfs Gârbova bei Reparatur- und Ausbauarbeiten.

«Gumă, gumă», brüllen die Kinder im rumänischen Gârbova erwartungsvoll, sobald sie Fremde in ihrem Dorf entdecken. «Herr Leiser, unser Lehrer, hat uns zum Glück vorgewarnt. So waren wir mit einem kleinen Kaugummi-Vorrat angereist, den wir den aufmüpfigen Kleinen in die Hände drücken konnten», erzählt die 18-jährige Romina Wüthrich.

Die Schreinerlernende hat sich mit elf anderen angehenden Macherinnen und Machern des Bildungszentrums Interlaken (BZI) in Frutigen freiwillig für einen viertägigen Arbeitseinsatz in Rumänien gemeldet. Mit dem Ziel, in Gârbova auf dem Hof einer alleinerziehenden Mutter ein neues Tor zu installieren und Innenausbauarbeiten bei einem Neubau vorzunehmen.

«So etwas erlebst du nur einmal im Leben», dachte sich die Lehrtochter der Ernst Riesen AG in Thun und war sofort Feuer und Flamme für das Projekt, als es in ihrer Berufsschule vorgestellt wurde.

Die Reise beginnt

Um die Kosten für die Reise, Unterkunft und das Arbeitsmaterial im Zaum zu halten, gingen die Lernenden im Vorfeld auf Sponsorenjagd bei lokalen Unternehmen und Privatpersonen. Und das sehr erfolgreich: Am Ende bezahlte jeder Lernende einen Bruchteil der eingeplanten 600 Franken. In den frühen Morgenstunden eines Septembertages startete das Abenteuer in Steffisburg BE. Mit je einer halben Tonne Lebensmittel und Arbeitsmaterial machten sich zwei Privatfahrzeuge mit prall gefülltem Anhänger auf den Weg Richtung Osten. In Wien war der erste Zwischenstopp inklusive Stadtbesichtigung und Übernachtung. Bei diesem Zwischenhalt wurde festgestellt, dass ein Radlager beim Anhänger kaputt war. «Wir hatten Glück, dass der Defekt nicht auf der Autobahn passierte», so Dennis Gerber (20), Lernender bei der Mock Schreinerei AG im bernischen Wattenwil. Mit einem Mietanhänger ging es am nächsten Tag weiter nach Makó (Ungarn), wo die Truppe ein Thermalbad besuchte und die Nacht verbrachte, bevor sie dann nach langer Fahrt am nächsten Tag in Gârbova eintraf. Das rumänische Dorf mit rund 2000 Einwohnern befindet sich in der Region Siebenbürgen und liegt am gleichnamigen Fluss. Die nächste Kleinstadt Miercurea Sibiului liegt elf Kilometer nordöstlich.

Eine andere Welt

Dass in Rumänien andere Zustände herrschen als in der Schweiz, war Romina bewusst. «Ich kannte das Land von Fotos, aber ein richtiges Bild von der Armut konnte ich mir erst vor Ort machen. In Gârbova leben die Leute in kaum oder gar nicht isolierten Häusern. Wenn es regnete, tropfte es uns stellenweise durchs Dach auf die Köpfe. Abfalltrennung ist ein Fremdwort, der Gestank war teilweise unerträglich. Pneus, Plastik – alles wird verbrannt, um sich aufzuwärmen oder zum Kochen. Sogar den Restbestand unseres mitgebrachten Bauholzes wollten die Leute verbrennen», erzählt die junge Schreinerin. In Rumänien verdient ein Arbeitnehmer gemäss dem Statistischen Amt der EU durchschnittlich 2 Euro pro Stunde. Das ist 12,5-mal weniger als in Dänemark, dem EU-Mitgliedsstaat mit dem höchsten Stundenlohn. «Die liebenswerten Leute waren sehr dankbar für unsere Arbeit. Als wir mit der Armenküche, die uns vor Ort bekochte, einmal mitgingen und Lebensmittel verteilten, wollten uns die Leute im Gegenzug mit Brot beschenken, obwohl sie selber hungern müssen. Das war schon sehr eindrücklich», so Dennis. Weiter erzählt er, dass ein Lernender einem Anwohner sein ungebrauchtes BZI-T-Shirt geschenkt habe. Der junge Mann habe daran gerochen und gemeint, es dufte wunderbar.

Unbekannte Werkzeuge

In Gârbova fehlt es nicht nur an Lebensmitteln und Kleidern, sondern auch an Werkzeugen und Schreiner-Know-how. So schauten die Anwohner gebannt den jungen Schweizer Berufsleuten auf die Finger, als diese ein heruntergekommenes Tor durch ein neues mit zwei Türflügeln ersetzten. «Das alte Tor hatte keine Scharniere und war fix an einem beweglichen Pfosten befestigt», schildert Romina die angetroffenen Zustände. Auf der zweiten Baustelle arbeitete Dennis mit den restlichen Lernenden am Innenausbau eines Neubaus. Sie bauten einen Dachstock für weitere Abstellflächen inklusive einer hinunterziehbaren Leiter und nahmen Isolationsarbeiten vor. «Werkzeuge wie den Akkubohrer kannten die Dorfbewohner nicht», erinnert sich Dennis. Er und Romina sind froh, dass sie sich für den Einsatz entschieden haben. Er habe ihnen aufgezeigt, wie gut es die Schweizer haben. «Bei uns dreht man den Wasserhahn auf, wenn man Durst hat. Friert man, wird die Heizung angestellt. In Gârbova fahren noch Ross und Wagen durch die verlöcherten Strassen, und trotz Kälte haben die Leute kaum warme Kleider», so Dennis abschliessend.

ms

Veröffentlichung: 01. Dezember 2016 / Ausgabe 48/2016

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