Einfach ungestört «wärchen»

Niklaus Liechti baut mit Barbara Schranz einen Boden für den Transporter der Firma, mit dem sie die Produkte ausliefern. Bilder: Stefan Hilzinger

Sozialfirma.  Barbara Schranz hatte einen Traum: gelebte Integration in einer Schreinerwerkstatt für Menschen mit Beeinträchtigung. In Oey-Diemtigen BE setzte sie die Idee um. «Ich bin meinem Herzen gefolgt», sagt die Chefin der Schreinereiplus mit vier Angestellten.

Seelenruhig bohrt Marco Eigenheer Loch um Loch in eine schmale Leiste. Die Lehre vor ihm stellt sicher, dass die Löcher dort sind, wo sie hingehören. An der Werkbank daneben ist Nicolas von Känel mit einer Oberfräse beschäftigt. Es dauert seine Zeit, bis die Einstellung passt. Barbara Schranz fragt nach, ob er zurechtkomme. «Ja, geht schon», gibt von Känel zur Antwort. Derweil sucht Niklaus Liechti ein passendes Querholz für den Boden eines Transporters.

Alle sind ruhig an der Arbeit in der Schreinerei. Gesprochen wird wenig in der von der Morgensonne erhellten Werkstatt in Oey-Diemtigen BE. «Wir bauen in unseren Firmentransporter einen Holzboden ein», sagt Barbara Schranz (54), die Chefin der Schreinerei. Mit dem Fahrzeug liefert sie jeweils auch Bienenkästen aus, im Frühling das Hauptprodukt des Betriebs.

Keine alltägliche Schreinerei

Im Sommer 2020 setzte die gelernte Schreinerin einen lang gehegten Wunsch in die Tat um: Sie machte sich mit einem Kleinbetrieb im Diemtigtal selbstständig. «Schreinereiplus» nennt sich der Betrieb. Vier junge Männer mit geistiger Beeinträchtigung arbeiten mit ihr im Team zusammen. Nebst den drei Erwähnten gehört Beat Beer dazu, der eine Ausbildung zum Praktiker PrA Schreinerei absolviert und an diesem Tag nicht anwesend war.

Zehn Jahre war Schranz nach der Lehre auf dem Beruf tätig. Nach einem Praktikum in einer geschützten Werkstatt entschloss sie sich, eine Ausbildung zur Sozialpädagogin anzuschliessen. Danach arbeitete sie während Jahren in Einrichtungen für Menschen mit Beeinträchtigung, unter anderem in der Friederika Stiftung in Walkringen BE, wo sie junge Menschen zu Praktikern/innen PrA Schreinerei ausbildete. Zuletzt leitete sie eine geschützte Werkstatt mit 32 Mitarbeitenden mit Beeinträchtigung sowie 15 Angestellen. Doch Schranz träumte da schon längst von etwas ganz anderem, von einer richtigen, normalen Bude für Menschen mit Beeinträchtigung. Lange wägte sie das Für und das Wider ab. Doch dann, während einer Bergtour im Albulagebiet vor etwa drei Jahren, habe sie gewusst: «Jetzt ist der Moment gekommen, meinem Herzen zu folgen und die Schreinereiplus zu gründen.»

Finanziert mit Crowdfunding

Und aus der langjährigen Angestellten wurde die Gründerin einer Start-up-GmbH. Businessplan erstellen, Geldgeber suchen, Räumlichkeiten finden standen dann auf der Tagesordnung der Jungunternehmerin. «Da für meine Unterfangen bei den Banken kein Geld zu holen war, setzte ich auf ein Crowdfunding», erklärt sie. Und das mit Erfolg. Räumlichkeiten fand die gebürtige Berner Oberländerin auch: als Mieterin in einer Einmann-Schreinerei, wo unter anderem Diemtigtaler Schlitten entstehen. Weil in der Zwischenzeit mit den ersten Erfolgen der Firma die Platzverhältnisse etwas beengt geworden sind, sucht sie aktuell eine neue Bleibe in der Nähe.

Ein gutes Team war für Schranz von Anfang an zentral fürs Gelingen des Vorhabens. Nachdem Lokalzeitungen über ihr Projekt berichtet haben, hätten sich die ersten bei ihr gemeldet. Zu guter Letzt schaltete sie ein Stelleninserat, worauf sich weitere Interessierte meldeten. Und so war die Mannschaft rasch beieinander. Am 31. Juli 2020 schliesslich ging die Schreinereiplus in Betrieb. Bedingung ist, dass die vier Mitarbeiter ihren Arbeitsweg selbstständig bewältigen und über Mittag sich selbst verpflegen. So reist einer täglich von Interlaken ins Diemtigtal, was ein ganz schönes Stück Weg bedeutet. Doch gerade dieses Mehr an Eigenverantwortung mache die Arbeit hier so toll, sagen Liechti, von Känel und Eigenheer bei der Znünipause. «Und der Betrieb ist viel kleiner. Es ist ruhiger, und man kann ungestört wärchen», sagt Niklaus Liechti, und seine Kollegen bestätigen dies.

Auf Unterstützung angewiesen

Der Betrieb kann nicht von den Erträgen der Produkte allein leben, daraus macht Schranz keinen Hehl. Die Schreinerei ist auf Beiträge der öffentlichen Hand und auf Spenden angewiesen. Vor Kurzem erst hat das zuständige Amt des Kantons Bern die Schreinerei als Sozialfirma anerkannt, was die finanzielle Situation nun doch entlaste. Bei allen Kompromissen, die Schranz für das Vorhaben eingehen musste, bei den Produkten zeigt sie sich kompromislos. Nebst den erwähnten Bienenkästen sind dies unter anderem verschiedene Tische und Stühle sowie eine Liege, zu einem Gutteil aus Massivholz. «Bei allem, was die Werkstatt verlässt, muss die Qualität stimmen», sagt sie. So ist Schranz in ihrer eigenen Firma weiterhin mehr Coach als Handwerkerin. Doch das gemeinsame Arbeiten in der Werk- statt, die Erfolgserlebnisse und die Rückmeldungen der Mitarbeiter und der Kundschaft bestätigen ihr, dass sie zu Recht ihrem Herzen gefolgt ist. Umso schöner war im vergangenen Herbst die Überraschung, als das Team erfuhr, dass die Schreinerei mit dem Förderpreis «Prix Printemps» ausgezeichnet wird.

www.schreinereiplus.chwww.prixprintemps.ch

Stefan Hilzinger

Veröffentlichung: 17. März 2022 / Ausgabe 11/2022

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