Ein Brett von Welt

Werner Alder baut seit bald 40 Jahren Hackbretter. Bild: Andreas Reinhart

Hackbrett.  Erfunden haben sie es nicht, die Appenzeller. Aber sie pflegen es wie kein anderes Kulturgut: das Hackbrett. Ein Besuch in der Werkstatt von Werner Alder, Schreiner und Hackbrettbauer im ausserrhodischen Herisau.

In der alten Stuhlfabrik im ausserrhodischen Herisau dreht sich alles um die Appenzeller Kultur. Mittendrin: Werner Alder, gelernter Möbel- und Antikschreiner, passionierter Hackbrettbauer. Im grosszügigen Bau hat er sich eingerichtet – nicht nur, um Hackbretter zu bauen, sondern um Interessierte in die Geheimnisse der lokalen und regionalen Folklore einzuweihen. Doch dazu später mehr. Das Herzstück des Betriebs ist die Werkstatt, in der Alder seit bald 40 Jahren Hackbretter baut, diese typischen Instrumente, die mit ihrem charakteristischen Klang die Appenzeller Volksmusik prägen. Im Jahr 1979, Werner Alder schritt auf das Ende seiner Schreinerlehre zu, fragte ihn sein Vater, ob er Lust habe, ein Hackbrett zu bauen. Er hatte Lust – und baute als Abschlussarbeit ein Hackbrett.

Dies war der Beginn einer grossen Leidenschaft, die sich für den jungen Möbelschreiner vom gelegentlichen Zustupf zum Lebensinhalt entwickelte. Möbel baut Alder heute praktisch keine mehr, es sei denn, jemand wünscht sich etwas Besonderes. Vom einfachen Reisehackbrett bis zum kostbaren, aufwendig verzierten Konzerthackbrett baut Alder Instrumente für alle Bedürfnisse. Hierzu muss man wissen, dass die Alders seit Generationen mit der Appenzeller Volksmusik verbunden sind; Werner selbst gehört zur vierten Generation der Alder-Dynastie, aus der einst die legendäre Streichmusik Alder hervorging. Interessant dabei: Bei der Streichmusik Alder war der Hackbrettspieler praktisch nie ein Alder – dafür lebt Werner Alder seine Leidenschaft in Formationen wie dem Echo vom Säntis oder in der Zusammenarbeit mit der Herisauer Geigerin Maya Stieger.

Viel Geduld und Zeit

Um ein Appenzeller Hackbrett zu bauen, braucht man Fichte und Ahorn, am besten aus mindestens 1200 Metern Höhe, etwa von der Alp Sigel im Alpstein. Auf Wunsch verbaut Alder aber auch andere Hölzer wie Birne, Nuss oder Kirsche.

Bevor das Holz verarbeitet werden kann, muss es während zehn Jahren draussen an der frischen Luft trocknen. Verarbeitet wird es dann idealerweise im Winter. Und falls er doch einmal im Sommer ein Hackbrett bauen muss, hat der Profi so seine Tricks, um die Feuchtigkeit aus dem Holz abzuziehen. «Man lässt das Holz eine Zeit lang irgendwo in der Nähe eines Ofens», sagt er geheimnisvoll – alles will er dann doch nicht preisgeben.

Obwohl die Konstruktion eines Hackbretts vergleichsweise recht simpel ist, braucht es Geduld und Zeit, eines zu bauen. Nach dem groben Zuschneiden lässt man das Holz für eine Weile liegen, bevor man es dann in die genaue Form hobelt. So kann sich das Holz immer wieder erholen, Schwinden und Quellen im fertigen Instrument werden auf ein Minimum reduziert.

Tradition und Zukunftsvision

100 Stunden baut Werner Alder an einem einzigen Hackbrett (inklusive Koffer sind es 130). So lange dauert es, bis das Holz fertig gehobelt und verleimt ist, bis die zierende Schalllochrosette geschnitzt ist, bis jedes Teil dort sitzt, wo es hingehört – bis das Hackbrett tatsächlich auf eigenen (aus Ahorn gedrechselten) Beinen steht.

Ein traditionelles Hackbrett wird mit 125 Saiten bespannt (zum Vergleich: Bei einem modernen Klavier sind es um die 220), die zusammen einen Zug von einer Tonne auf die Konstruktion ausüben. Deshalb sind der Nagel- und der Wirbelstock – also quasi die Flanken des Hackbretts – aus Ahorn, die weichere Fichte würde dem Zug nicht standhalten und die Wirbel würden leicht ausreissen. Alder verwendet für seine Instrumente Zitherwirbel, die Bass-Saiten wickelt er selber – bei jeweils 15 bis 40 Stück eine zeitintensive Sache. So ist es auch nicht verwunderlich, dass ein Alder-Hackbrett mit 4000 bis 10 000 Franken zu Buche schlägt, sollte man sich denn entscheiden, eines zu kaufen.

Beim Bau seiner Hackbretter ist Werner Alder einerseits Traditionalist, andererseits aber auch ein Tüftler: So gibt es aus dem Hause Alder fast futuristisch anmutende Instrumente aus Karbon. «Karbon ist stimmhaltiger als Holz, weil das Material weniger arbeitet», erklärt Alder. Dafür sei die Verarbeitung schwieriger, fügt er an. Karbon sei ungleich härter als Holz und müsse deshalb mit besonderer Vorsicht zugeschnitten werden. Ein Aufwand, der sich lohnt: Hackbretter mit Karbonbestandteilen sind nicht nur einfacher zu warten und weniger zu stimmen, sie klingen auch praktisch gleich wie jene aus Holz. Etwas höhenreicher vielleicht, aber sie sind im Blindtest praktisch nicht zu unterscheiden.

«Beim Tüfteln gelingt nicht immer alles», sagt Alder. «Aber ich bin glücklich, wenn ich offen sein kann für Neues und meine Ideen umsetzen kann.» Er sei stets daran, den Klang seiner modernen Hackbretter zu verfeinern, etwas sanfter zu machen.

Einfaches Instrument für einfache Leute

Man sagt, das Hackbrett habe seinen Weg im Mittelalter von Persien über den Balkan, Ungarn und Österreich in die Schweiz gefunden, wo seine Existenz erstmals im Jahr 1447 urkundlich erwähnt wird. Fahrende Musiker haben damit die einfache Bevölkerung unterhalten und zum Tanz gebeten – das mag der Grund sein, warum das Hackbrett nie wirklich Einzug in die «ernste» Musik gehalten hat (bis auf einige Ausnahmen; siehe Kasten auf Seite 61). Dabei kann praktisch jede Art von Musik gespielt werden, und der Nachwuchs scheint gesichert, wie Werner Alder weiss. «Es gibt viele talentierte, junge Musikerinnen und Musiker», sagt er, der neben seiner Hackbrettwerkstatt auch noch die «Kulturwerkstatt» betreibt, alles untergebracht in der alten Stuhlfabrik. In der Kulturwerkstatt hält Alder regelmässig Vorträge über das Appenzeller Brauchtum im Allgemeinen und über das Hackbrett im Besonderen, oder er organisiert Kurse zum Jodeln und Talerschwingen. Dabei interessiert sich Alder längst nicht nur für Volksmusik, sondern hört wie selbstverständlich auch Pop- und Rockmusik. «Ich bin beruflich so viel um die Volksmusik herum, da mag ich zu Hause gerne auch mal etwas anderes hören», sagt er.

Viel Arbeit für zwei kleine Hölzchen

Zurück in der Werkstatt, wo ein wichtiger Bestandteil eines Hackbretts bisher unerwähnt geblieben ist: die Schlegel (oder auch Ruten) zum Anschlagen der Saiten. Bis aus einem viereckigen Holzstäbchen aus Kirsche, Birne, Nuss oder Ahorn ein brauchbarer Schlegel mit der typischen konkaven Form entsteht, sind 16 Maschinengänge nötig – «und eine Stunde Schleifen», wie Alder anmerkt. Schliesslich sollen die Schlegel, die auf einer Seite mit Filz oder Leder bezogen sind, aufs Gramm genau gleich schwer sein, um einen sanfteren Klang zu ermöglichen. Auch hier schaut Werner Alder in die Zukunft: Die ersten Schlegel aus Karbon haben den Praxistest bereits bestanden.

Für sein 40-Jahr-Jubiläum als Hackbrettbauer, das 2019 steigen wird, hat Werner Alder Grosses vor: «Ich will etwas Verrücktes machen, um den Leuten die Welt des Hackbretts näherzubringen», sagt er etwas geheimnisvoll. Gleichzeitig arbeitet er an einem anderen grossen Projekt: Alder will für jede Ausserrhoder Gemeinde – immerhin 20 – ein eigenes Hackbrett bauen.

www.alder-hackbrett.chwww.kulturwerkstatt-appenzellerland.ch

Vom Orient nach Appenzell

Das aus dem Orient stammende Psalterium darf als Vorgänger des Hackbretts angesehen werden. Das Hackbrett, wie wir es heute kennen, mit Stahlsaiten, die geschlagen werden, wurde aber erst im späten 15. Jahrhundert entwickelt. Das hat vor allem damit zu tun, dass es zu dieser Zeit erstmals möglich war, Draht zu ziehen statt zu schmieden. Geschmiedeter Draht ist für Musikinstrumente nicht geeignet, deshalb wurden auf die früheren Instrumente Darmsaiten aufgezogen, die aber eher gezupft als geschlagen wurden.

Heute unterscheidet man das steirische, das slowenische, das Osttiroler, das Salzburger, das Appenzeller und das Walliser Hackbrett. Die Instrumente werden jeweils in den landestypischen Stimmungen gespielt. Alleine in der Schweiz gibt es über zehn verschiedene Stimmungen.

Auch ausserhalb der Volksmusik

Obwohl das Hackbrett, wie oben erwähnt, hauptsächlich in der Volksmusik eingesetzt wird, haben sich auch immer wieder Vertreter der ernsten Musik seiner angenommen. So haben etwa Christoph Willibald Gluck, Leopold Mozart, Antonio Vivaldi oder Igor Strawinsky Partien für Hackbrett komponiert. Auch in der Rock-, Pop- und Countrymusik kommt das Hackbrett hin und wieder zum Einsatz – so etwa bei den Mittelalter-Metallern von In Extremo, bei Marillion, bei der australischen Band Dead can Dance, der isländischen Sängerin Björk oder bei Johnny Cash («Ghost Riders in the Sky»).

Besondere Aufmerksamkeit schenkte der britische Filmkomponist John Barry (unter anderem bekannt geworden durch seine James-Bond-Titelsongs) dem Musikinstrument: In der Titelmelodie der TV-Krimiserie «Die Zwei» mit Roger Moore und Tony Curtis spielt das Hackbrett die Erkennungsmelodie.

Experimente mit dem Hackbrett

Als Pionier in der Hackbrettszene darf Werner Alders Cou-Cousin Walter Alder bezeichnet werden, der sich vor allem in der Ausbildung junger Talente verdient gemacht hat und immer noch macht. Weiter stechen in der Schweiz der Appenzeller Töbi Tobler («Appenzeller Space Schöttl») und der Glarner Roland Schiltknecht hervor, die beide in den Achtziger- und Neunzigerjahren begannen, alpine Volksmusikelemente mit Elementen aus Jazz und Rock zu verbinden und mit den Möglichkeiten des alpinen Hackbretts zu experimentieren. Auch das Trio Anderscht lehnt sich weit über die traditionelle Hackbrett-musik hinaus: Vom Appenzeller Zäuerli über Klassik bis Rock und Funk interpretieren die drei Ostschweizer Musiker alles, was sich bewegt.

AR

Veröffentlichung: 08. März 2018 / Ausgabe 10/2018

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